Text:Silvia Buss, am 28. Oktober 2014
Die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg hat in diesem Jahr künstlerisch Hochkonjunktur. Das historische Thema befördert auch neuartige Kooperationen. In Trier hat sich das Theater mit der Universität und zehn weiteren Institutionen, darunter etwa die Kriegsgräberfürsorge, zusammengetan, um eine bis ins Jahr 2015 reichende Veranstaltungsreihe zum Kriegsbeginn zu stemmen. Dass man für die Reihe das Motto „Gott mit uns“ wählte, das 1914 auf den Koppelschlössern der ausrückenden Soldaten stand, natürlich mit einem einem Fragezeichen versehen, wirkt in der Bistumsstadt naheliegend.
Auch sein Theaterprojekt, das am Sonntag Premiere feierte, hat das Theater Trier gemeinsam mit der Uni und der Kriegsgräberfürsorge entwickelt. Schon an der Zahl der Grußredner ließ sich ablesen, dass es das aufwendigste Projekt der ganzen Reihe sein dürfte. Ein halbes Jahr, erfuhr man, dauerten die Vorbereitungen für diese Eigenkreation, mit der man den Ersten Weltkrieg sowohl global als auch regionalspezifisch auf der Bühne beleuchten wollte. Während die Theaterleute im benachbarten Lothringen die Schlachtfelder von Verdun besichtigten, schwärmten Studierende der Neueren Geschichte in die Bibliothek, das Stadtarchiv und sogar in die Fußgängerzone aus, um bislang Unentdecktes über diesen Krieg und seinen Niederschlag in der Moselstadt zu recherchieren. Nun war Trier damals keine Schaltzentrale der Macht, doch als grenznahe Garnisonsstadt schon zu Kriegsbeginn Ziel zahlreicher schwerer Bombardements und verwandelte sich später in ein riesiges Lazarett für die verwundeten Rückkehrer von der Front. Dass man sich irgendwann entschloss, wie Intendant Gerhard Weber erklärte, den Abend in Globales und Regionales zu teilen, war eine gute Entscheidung. Ganz unproblematisch war der Abend gleichwohl nicht.
Der erste Teil, „Wahnsinn wäscht die Hände – Europa macht mobil‘ betitelt, geht der Frage nach: Wie konnte es nach dem Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger überhaupt so weit kommen, dass sich halb Europa in den Krieg stürzt? Anhand historischer Dokumente, die im Uniseminar intensiv diskutiert wurden, rekonstruierte man hier, dramaturgisch bearbeitet von Peter Larsen, die politisch-diplomatischen Manöver der fünf Großmächte und Serbiens und lässt sie in szenischen Dialogen nachspielen. Über 20 Machthaber, Minister,-präsidenten und ihre Unterhändler treffen sich auf der Bühne in ständig wechselnden Konstellationen. Sechs Schauspieler im Frack schlüpfen dafür in jeweils bis zu acht verschiedene Rollen. Nur an den mit Hutbändern in Flaggenfarben verzierten Zylindern, die sich aufsetzen, kann man erkennen, wer gerade welche Nation vertritt. Namen werden selten genannt. Wer als Zuschauer nicht schon vorher durchblickte, wer damals mit wem gegen wen paktierte und welche Strategie verfolgte, der wird auch hier bald verwirrt sein. Macht aber nichts, denn Regisseur Gerhard Weber führt die politische Kaste als eiskalten Intrigantenstadl vor, in dem jeder ohne mit der Wimper zu zucken taktiert, pokert und lügt, wenn’s dem Machtinteresse dient. Beim Jagen, Billard-Spielen oder auch Dinner entscheiden sie cool über das Schicksal von Millionen.
Rahel Seitz baute ihnen für ihr „Staatstheater“ (Weber) eine Showtreppe mit Sitzgruppen, Papphirschen und Kleiderständern mit plakativ arrangierten Krücken und künstlichen Armen und Beinen, die eher Kabarett erinnern. Mit einem Hauch Empathie zeichnet Weber hingegen die monarchischen Regenten, Kaiser Wilhelm II, Franz Josef I und Zar Nikolaus II. Sie haben längst nicht mehr die Zügel in der Hand, wohl deshalb besetzt Weber sie mit Frauen. In ihren weißen Prunkanzügen umflort sie keineswegs Unschuld, allenfalls eine gewisse Tragik. Das zu vermitteln übernimmt in Trier der bekannte Schauspieler Michael Mendel. Wenngleich mit ein paar Versprechern, so doch mit dem gewissen Plus an Charisma las er am Lesepult unter anderem aus Telegrammen, in denen sich die Vettern (Zar)“Nicki“ und (Kaiser) „Willi“ einander herzlich grüßen, dieweil ihre Armeen schon in Stellung gehen.
Im Gegensatz zu Teil 1, der durchweg spannend ist, spürt man in Teil 2 bisweilen unangenehm pädagogische Ambitionen und glaubt sich in der Schülervorstellung, die in der Tat geplant ist. Das liegt aber nicht daran, dass man für den „Aufmarsch Trier – So bitte ich Sie, doch meiner zu Gedenken“ den Platz wechseln muss , um nun von der Bühne aus das Geschehen im Zuschauerraum zu verfolgen. Vielmehr beginnt es mit jener Geste, dass man den Zuschauer, „an die Hand nehmen“ und „im Heute abholen“ will, um ihn in das Jahr 1914 zurückzuführen. In diesem Fall ist es eine Tüte mit sterblichen Überresten von Verdun-Soldaten, die jemand im vorigen Herbst anonym vor der Tür der Trierer Büros der Kriegsgräberfürsorge ablegte. Es folgt das durchaus vergnügliche Testimonial eines Taxifahrers, der mal „Holzbeinschnitzer “ war, und von Verdun-Besuchen die Nase voll hat.
Für Teil 2 haben Peter Oppermann (Dramaturgie) und Steffen Popp (Regie) die regionalhistorischen Rechercheergebnisse der Studierenden im Stile zeitgenössischen Dokumentartheaters inszeniert. Dafür haben sie die teils kuriosen, ungewöhnlichen, teils aber auch typischen Fundsachen wie Frontbriefe von Soldaten kaleidoskopartig zusammengestellt. Aufgespürt haben die Studierenden etwa Programme von Schulfeiern, auf denen man die Schüler 1914 mit nationalem Liedgut auf Kriegsbegeisterung einstimmte und Lehrpläne für die Turnstunden, in denen fröhliches Marschieren und andere kriegsdienliche Bewegungsweisen eingeübt wurden. Man erfährt, warum das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel im Ersten Weltkrieg auf einmal zu einem rasanten Erfolgs-Produkt wurde: Weil sein Erfinder die glorreiche Idee hatte, sein neues Brettspiel massenhaft gratis Lazaretten zu schicken, damit die verwundeten Soldaten sich damit ablenken konnten. Und gerade in Trier gab es Lazarette an jeder Ecke. Regisseur Popp lässt die Darsteller, vier der sechs , die schon im ersten Teil homogen überzeugten, die Texte mal im Chor, mal abwechselnd skandieren, lässt sie turnend durch die Kulisse aus hunderten leere Sitze hüpfen, die Zuschauer auf der Bühne bestürmen, kurz: er lässt sich viel einfallen, die historischen Dokumente lebendig und abwechslungsreich zu gestalten. Oliver August, der schon im ersten Teil live am Laptop und Schlagzeug mit Noise-Musik und Trommel-Schlägen eine Vorahnung vom drohenden Stahlgewitter gab, begleitet auch diesmal sehr stimmig. Natürlich kommen auch Bildschirme zum Einsatz, auf denen Live-Bilder und Zwischentitel eingeblendet werden. Das alles ist angenehm unverstaubt, doch letztlich trägt das Gesamtkonzept nicht. Zu beliebig wirken die Facetten auf Dauer zusammengesetzt, der Spannungsbogen sackt in sich zusammen, so dass man das Ende herbeisehnt. Im gut besuchten Theater Trier spendete man beiden Teilen kräftigen Applaus.