Foto: Dumais' "Pure" in Mannheim. Julie Pécard, Ensemble Kevin O'Day Ballett NTM © Hans Jörg Michel
Text:Eckehard Uhlig, am 13. Oktober 2014
Einfach hingebungsvoll tanzen. Musik spontan in körperbetonte Bewegungssprache verwandeln: Meist mit Tempo und Leidenschaft, aber auch lyrisch zart oder im entschleunigten Diminuendo zeitlupenhaft zerdehnt. Die Tänzer und Tänzerinnen vom Kevin O’Day-Ballett fesseln im Schauspielhaus des Mannheimer Nationaltheaters und bereiten mit ihren ästhetisch schönen Improvisationen gleichermaßen befreiend entspannende Freude. Dominique Dumais‘ neue Choreographie „Pure“ entfaltet auf der in diffuses Licht getauchten, schwarzgrau ausgekleideten Breitwandbühne „reinen Tanz“, ohne theorielastige Vorgaben, ohne die Umsetzungszwänge einer zu erzählenden Handlung – getragen vom Melodien- und Rhythmus-Reichtum, den die Zwei-Mann-Band rechts auf der Bühne entfacht.
Gezündet wird das 80 Minuten lang brennende Feuerwerk von dem exzellenten Percussionisten Peter Hinz, der einen scheinbar einsamen Tänzer – sich mit ihm und nahe bei ihm auf der Bühne bewegend – in Rage trommelt. Dann kommen weitere „Einzelkämpfer“ hinzu, bis sich, von einem Schrei aus zwölf Kehlen markiert, das gesamte Ensemble auf der Tanzfläche versammelt. Später folgt ein turnerisch-bodengymnastisch aufgeladenes Frauen-Solo, bei dem auch die E-Gitarre (Martin Lejeune) singend hinzutritt oder nach angerissenen Saiten mit schrundigen Schleifern dreinfährt.
Höhepunkte sind ein von verstörenden Zurufen aus dem Bühnen-Hintergrund begleiteter Tanz dreier Mädchen, der wie ein altmeisterliches, in Bewegungs-Malerei aufgelöstes Bild der „Drei Grazien“ anmutet. Und natürlich die „Flamenco“-Einlage: Unter Anfeuerungsrufen treten immer wieder aus der im Halbkreis aufgestellten Compagnie Einzeltänzer hervor, mutieren – von andalusischen Tanzrhythmen beflügelt – zu Torero und Toro, in eine glühende Carmen und ihre eifersüchtigen Liebhaber. Es gibt auch gliederndes Innehalten aller Akteure, dann erhellt das Licht auch den Zuschauerraum. Einmal stellen sich dabei die Protagonisten entlang der Rampe auf, winken und gestikulieren zu den Theaterbesuchern, sprechen einzelne direkt an. Doch der Kommunikationsversuch gelingt, jedenfalls in der Premieren-Vorstellung, kaum.
Die Tänzer und Tänzerinnen präsentieren sich in funktional einfachen, in Blaugrau- oder Oliv-Farbtönen gehaltenen Kostümen. Getanzt wird zu der von Hinz und Lejeune gemeinsam produzierten Musik amerikanisch modern auf flachen Sohlen. Skurrile Verrenkungen der Gliedmaßen gehören dazu, wilde Drehwirbel und Flatter-Orgien, rasante , sich unmittelbar aus der Boden-Lage erhebende Sprünge, tänzerisch poesievolle Flirts, aber auch aggressiv ausgetragene Konflikte. Alles wird auf wundersame Weise fließend verbunden. Ohne einschnürendes Programm-Korsett begeistert das vielgestaltige balletteuse Fest. Logisch, dass nach der leise verdämmernden Schluss-Sequenz nicht enden wollender Beifallsjubel ausbricht.