Foto: Lisa Jopt und Maximilian Pekrul im "Kampf um Troja" am Staatstheater Oldenburg. © Karen Stuke
Text:Jens Fischer, am 3. Oktober 2014
Angemalt wie Kriegerpuppen eines afrikanischen Stammes drängeln die Darsteller als antiker Tragödienchor zwischen Publikum und Bühnenbild (Showtreppenskelett mit Stahlseilen statt Stufen), wechseln mit ihrer entschlossenen Wildheit auch mal fix in den Fußballfan-Modus chorischer Gröhl-Darbietungen – und erweisen sich schnell als plapperlustige Clique. Sie gehen die tapfere Arbeit des Gustav Schwab noch einmal an – in konterkarierender Absicht. Dessen geradezu kanonische Sammlung der „Schönsten Sagen des klassischen Altertums“ prägt seit 170 Jahren die Vorstellungen mit vom Wesen und Treiben der griechischen Götter und ihrer Marionetten auf Erden. Schwab holte sie in einstmals angenehm verständlicher Sprache nacherzählend vom Olymp und versuchte nebenbei, pädagogisch wertvolle Impulse zu vermitteln. Sex- und Gräuel-Szenen sowie Blicke in die brodelnde, animalische Ursuppe der menschlichen Psyche wurden zensierend abgemildert – für eine christlich tröstliche Feier von titelgemäß klassischen Idealen wie Heldenruhm, Todesmut, Opferwille, Heimattreue, Männerehre, Frauenschönheit etc.
All das wird nun in den Oldenburger „Schönsten Sagen des klassischen Altertums Teil I: Der Kampf um Troja“ zeitgemäß lächerlich gemacht im Update von Tim Tonndorf (Regie) und Marc-Oliver Krampe (Dramaturgie), einem entschlossen wilden Widerpart des betont konservativen Staatstheaters Oldenburg. Beide haben den Text auch resexualisiert, wieder mit den Bestialitäten humanen Miteinanders ausgestattet – und Schwabs inzwischen bieder wirkende Sprache mit den hübsch altertümelnden Wendungen lässig swingend in 2014er Alltagsjargon gefasst, reichlich Raoul-Schrott-Übersetzung einbezogen, mit Adorno-Sentenzen kommentiert und Zitaten aus den Massenmedien abgeschmeckt. Odysseus hat nun „einiges in der Birne, aber nichts auf dem Konto“ und so bei Helena keine Chance gegen den „gelinde gesagt ziemlich einfältigen“, aber „geilen“ Paris. Dafür spielt der spätere Heros „den ersten uns bekannten Kriegsdienstverweigerer der Geschichte“. Da er „mit seinem breiten Kreuz in jedem Fall mindestens T2 gemustert worden wäre, verfiel er auf eine seiner bekannten Listen“ – und versucht sich mit einer derben Tourette-Improvisation um den Fronteinsatz zu bringen.
Anstatt nun diese oder eine andere Figur bzw. Konstellation, ein Thema oder Kapitel zu fokussieren, geht’s flapsig kreuz und quer vom Schöpfungsmythos bis zum Kampf um Troja, „der die Last der Erde dank seiner vielen Toten erleichtert.“ Gefühlt alle weit verzweigten Handlungsfäden werden rasant ausgelegt, alle daran Beteiligten namentlich erwähnt und genealogisch hergeleitet („das ist wichtig für später“), was auch den mythologisch Vorgebildeten überfordert. Dazu das Ausprobieren der Möglichkeiten des Staatstheaters: Blendende Lichteffekte, Live-Video-Performance, Nebel, das Gestühl erbeben lassende Musikzuspielungen, lippensynchrone Pantomime zu elektronisch übertragenen Worten, Maskenspiel, rasend schnelle Rollenwechsel der Darsteller, die auch ständig zwischen Erzähl-, Spiel-, Reflexions- und Comedy-Haltung hin und her springen. Verwirrend. Dazu Sprachpointen und Darstellungsgags, atemlos in schlichter Reihung – als wäre es ein Theater sein wollender Fips-Asmussen-Witzeabend. Die ganze Ilias in 90 Minuten – so wie man auch mit dem „ganzen Shakespeare“ in Spielfilmlänge pointiert Jokus treiben kann –, das hätte vielleicht funktioniert. Eventuell auch komprimiert in einer Comic-Bilderfolge. Oder als Improtheater, indem das Ensemble auf Stichworte wie Hektor, Achilleus, Zeus oder Athene entspannende Clownsszenen in den Handlungsfluss juxt. Aber hier kommt die Lachanimation ohne Timing und rhythmische Variation daher, das Bombardement an Lustigkeiten sorgt für Schmunzelstarre – denn die Aufführung dauert knappe, aber satte drei Stunden.
Bis satte drei Minuten lang noch schnell die Moral von der Geschicht‘ verkündet wird. Die Götter werden als schuldige Menschenverblender abgesetzt, das Individuum ist geboren, selbst verantwortlich, sein eigener Gott, und muss bibbern, zittern, weinen angesichts all der großen Fragen nach Sinn, Wahrheit, Kinderkriegen und was sonst noch so möglich ist, wenn man nicht den als absurd erkannten Klischees der Mythen und ihrer fortgesetzten Feier in Hollywoodfilmen hinterherleben will. Aber da hat sich der Abend längst selbstverliebt zu Tode amüsiert.