Foto: Lars-Ole Walburgs "Im Westen nichts Neues" in Hannover. Erschrockene Muse (Katja Gaudard): Schreitet doch die Barbarei in Soldatengestalt in ihre wohlbehütete Kulturoase. © Katrin Ribbe
Text:Jens Fischer, am 22. September 2014
Krieg ist eine ziemliche Sauerei. Die kann man zwar wieder wegputzen, aber der zerschossene Stuck der Wohlanständigkeit und die Beschädigungen des bürgerlichen Parketts sitzen tiefer. Da hilft kein Ausgipsen bzw. Abschleifen, nur Sichtbarmachen der Verheerungen. Das versucht Lars-Ole Walburg mit „Im Westen nichts Neues“. Erich Maria Remarques Klassiker ist auch nach den Gedenkfeiern, 100 Jahre nach dem Startschuss des 1. Weltkriegs, Bestseller auf den Theaterspielplänen – nun eben als Abiturthema. Als Klassenzimmerstück, im Jugendtheaterformat, intim auf der Kellerbühne und natürlich opulent in den großen Spielstätten inszeniert, sind die alptraumhaften Erinnerungen des Veteranen Paul Bäumer zu erleben.
Bühnenbildner Robert Schweer zitierte hierzu in Hannover einen mit Parkett ausgelegten Museumssaal: ein Ort des Geistes, der Kunst, der Besinnung. Mondäner Firnis. „Per aspera ad astra“ (durch das Raue zu den Sternen) ist als Motto am Portal eingemeißelt. Die Gemälderahmen an den Wänden allerdings sind leer, denn Bilder werden im Folgenden genug produziert.
Eine unschuldsweiß gewandete „Muse“ (Katja Gaudard) betritt den Raum als ihr Reich, versucht es am weißen Flügel zu verteidigen. Für ihren Regisseur verkörpert sie stilvoll das „kulturelle Gedächtnis unserer Zeit“, assoziiert die klassische Klavierliteratur herbei und versucht zunehmend verzweifelter pianistischen Ausdruck für die große Sauerei zu finden – wie hier fünf Jugendliche direkt von der Schul- auf die Schlachtbank geführt werden. So gar nichts hat das mit dem propagandistischen Mythos des heroischen Frontkämpfers zu tun, geborgen in einer Frontgemeinschaft, die keine Klassenschranken kennt, aber eisernen Durchhaltewillen. Die Generation des 1. Weltkrieges, die für Ernst Jünger eine „gestählte“ wurde (und dann gleich den 2. Weltkrieg mitbefeuert hat), ist für Remarque eine zerstörte, verlorene. Viel Individualität dürfen die Figuren daher auf der Bühne wie im Krieg nicht entwickeln. Für den Vaterlandsgedanken zu kämpfen bedingt die Aufgabe der Persönlichkeit. Walburg zeigt die Protagonisten als Chor aus Solostimmen, die auch für innere Monologe und versprengtes Dialogisieren taugen. Um sich zu verständigen, dass die gerade von Eltern und Lehrern erlernten Regeln sozialen Miteinanders im Krieg nicht gelten, all das mühsam erarbeitete Wissen schlicht überflüssig wird. Hart, mitleidlos, roh und rachsüchtig werden, das ist nun wichtig. Und so wie das Jungsquintett angesichts des Kriegshorrors emotional, psychisch, physisch zerstört wird, verliert es auch nach und nach die Umgangsformen, Werte, Hoffnungen, Sehnsüchte, Lebensperspektiven, Kleidung und Scham. Schlamm regnet vom Himmel, Blut spritzt aus den zerschossenen Leibern. So schmieren sie sich – und die ganze Bühne ein. Nicht von Kriegsgründen, -zielen, -gewinnlern, -taktiken, -verläufen geht dabei die Rede. Erschütternd aneinandergereiht werden die Gräuel-Berichte aus den Schützengräben der Westfront. Walburg hat wahrlich die erschreckendsten Roman-Passagen den Figuren im Remarque’schen Originalton in die Münder gelegt.
Zentral – daher nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum gespielt – die Szene eines Heimaturlaubs. Welche Katastrophe. Nämlich die Erkenntnis des Soldaten, bereits jetzt nicht mehr tauglich zu sein für die Zivilgesellschaft. Was ja auch heute noch über Bundeswehrsoldaten nach ihrem Afghanistan-, von GIs nach ihrem Irak-Einsatz zu lesen ist: Posttraumatische Belastungsstörungen werden attestiert, Resozialisierung: sehr schwierig. Jahrelanges Schießen, Töten, Todesangsthaben, „das ziehst du nicht aus wie einen Strumpf“, wie es bei Remarque heißt. Der Bühnen- als Kulturraum gleicht nach dem Einbruch der Barbarei jedenfalls einer Schlammwüste. Eine riesige Sauerei. Das kann oberflächlich nun wieder gereinigt werden, aber umso deutlicher würde dann die Kulissenhaftigkeit unserer Zivilisation. Auch das ist nicht neu, wirkt allerdings durch das unheimlich intensive, bedrohliche Spiel des Männerensembles (Jakob Benkhofer, Daniel Nerlich, Dominik Maringer, Jonas Steglich, Nicola Fritzen) und die Dynamik der Inszenierung entwaffnend konkret.