"Das Glasperlenspiel" nach Hermann Hesse am Staatstheater Karlsruhe

In der Versenkung

Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:21.09.2014Regie:Martin Nimz

Irgendwann war das fällig: Nun hat auch Hermann Hesses letzter Großroman „Das Glasperlenspiel“ auf die Bühne gefunden. Nicht unbedingt ein Gewinn.

Das 600 Seite starke Buch, alles andere als ein Schmöker, wird gern als Summe des nobelpreis-nobilitierten Dichterlebens gelesen. Aus den Lehrplänen der Gymnasien ist der gedankenschwergewichtige „Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht“ zwar mittlerweile verschwunden. Aber eine gewisse Wirkung entfaltet Hesses Alterswerk nach wir vor.

Die vermutlich erste Bühnenfassung, die jetzt in Karlsruhe uraufgeführt wurde, zeichnet den Eintritt des Sinnsuchers Josef Knecht per aufwendiger Bühnenbild-Installation nach, in der die Zuschauer gemeinsam mit den Schauspielern den sich einkapselnden Eskapismus des kastilischen Lehr-Gebäudes praktisch am eigenen Leib verspüren. Ein großer geschlossener Raum ohne Türklinken, darin ein trichterförmiger Schlund, dessen Grund ebenso bespielt wird wie die schrägen Flächen und ein Rundum-Geläuf gleich hinter den Zuschauerreihen.

Das sorgt für Bewegung, die in der kontemplativen Vorlage so nicht vorhanden wäre. Die Inszenierung des adaptions-gestählten Hausregisseurs Martin Nimz (er hat von „Effi Briest“ bis „Jakob der Lügner“ schon allerhand in Szene gesetzt) findet allerdings keinen rechten Zugang zu dem Meister-Werk, das ja einen klösterlich intellektuell-frömmelnden Orden zur Rettung des geistig hochstehenden, aber gefährdeten Abendlandes installiert. Weil das Theater speziell mit den Anschauungen der kastilischen Elite-Kaste wenig anfangen kann, endet alles zwar auch mit Jakob Knechts tödlichem Badeausflug in kalten Bergsee-Gewässern, aber zuvor eben auch mit einem eindringlichen Appell an den Sinn und Zweck des öffentlichen Schulsystems.

Auf diesem Oberstufenniveau macht die Aufführung Hesse Beine. Aus dessen wohlmeinender, sektiererisch selektiven Männer-Phantasie schwitzt sie ausgerechnet das Homoerotische heraus, lässt den heranwachsenden Josef Knecht erwartungsvoll neben seinem Jugendgefährten Plinio erbeben oder eben später in reiferen Jahren ein begehrliches Auge auf dessen Sohn Tito werfen, so als ob er sich in Thomas Manns „Tod in Venedig“ verirrte. Und lehrende Patres, sowieso, nutzen jede Gelegenheit an pädagogischem Eros gern zum pädophilen Übergriff.

So spärlich das dramaturgische Gerüst sonst bleibt, so spendabel und aufwendig fällt der Rest aus. Das Badische Staatstheater hat, wie man so schön sagt, „keine Kosten und Mühen gescheut“, hat die Produktion sogar über die Spielzeiten verschoben, damit die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie, kurz ZKM, zustande kommt. Die Karlsruher Medien-Spezis steuern via 13 Beamern einige  Videoeinspielungen bei, die über ein zum Teil parallel geschaltetes Programm des Instituts für Bildmedien als 360-Grad-Panoramafilmtapete in den Raum geschaltet werden. Ein Kaleidoskop aus Kriegs- und Sternenbildern, Ornamentalem und vielerlei anderem Illustrativem. Viel Aufwand, allerdings ohne großen erkennbaren Nutzen.

Auch das Ensemble müht sich nach Kräften, ohne das jemand besonders hervorsticht. Jonathan Bruckmeier ist als junger Josef Knecht ein kritischer, etwas rebellischer Geist, der erst allmählich und gegen innere Widerstände auf kastilische Linie gebracht wird. Freund Plinio bleibt mit Maximilian Grünewald dagegen der leicht hysterische Außenseiter, der erst mit den Jahren (dann spielt ihn Frank Wiegard) gesitteter und gesetzter erscheint. André Wagner gibt den erwachsenen Knecht als schwächelnd Lehrkraft, ermattet auch vom Marsch durch die hermetisch-hierarchischen Institutionen.   

Hesse Roman besteht aus drei Teilen: Aus einem Traktat, aus der eigentlichen Lebensbeschreibung und schließlich aus dem Konglomerat nachgelassener Schüler-Oden oder pflichtschuldigst verfasster Lebensläufe. So sehr auch die Aufführung Hesses Gedanken- und Wertewelt mehr traktiert als interpretiert: Zumindest der Sound des häufig zitierten Hesse-Gedichts „Stufen“, vorgetragen von Tito-Darstellerin Veronika Bachfischer, bleibt im Ohr.  „Und jeden Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es da, und später: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten“.

Zeit, sich mal wieder ins Werk des Meisters zu versenken, der vita activa und vita contemplativa wie kein anderer gegeneinander aufwiegt. Sein „Glasperlenspiel“ haben jetzt erstmal andere versenkt, im Orkus der Karlsruher Totaltheater-Bühne.

 

Weitere Vorstellungen am 23. und am 24. September 2014, außerdem noch neun Mal bis 5. Oktober.