Foto: Leoš Janáceks "Jenufa" am Theater Augsburg © A.T. Schaefer
Text:Klaus Kalchschmid, am 22. September 2014
Es war der intensivste und quälendste Moment des ganzen Abends: Eine Frau kommt zurück aus der Kälte, in der sie gerade ein Neugeborenes getötet hat, indem sie es unters Eis schob; und nun will das nervöse Zittern ihrer rechten Hand einfach nicht mehr aufhören. Kerstin Descher, eine zierliche Person mit großer, glühender Mezzostimme, versucht als Küsterin immer wieder, mit der linken die rechte in Schach zu halten, aber es gelingt einfach nicht. Am Ende sitzt sie als im Innersten gebrochene, von ihrer Schuld zerfressende Frau auf einem Stuhl, während um sie herum geschäftige Hochzeitsvorbereitungen im Gange sind, die Aussteuer geprüft, Kuchen serviert wird. Auf der anderen Seite der Bühne, ebenfalls ganz im Schwarz der Trauer, probt ihre Stieftochter Jenufa, von der großartigen Sally du Randt mit leuchtendem, facettenreichem, auch zu schönem Piano fähigem Sopran und großer Bühnenpräsenz verkörpert, mit Spiegel und Schminkset den Neuanfang mit dem Mann, der sie einst aus Eifersucht im Gesicht verstümmelte, um sie dem Stiefbruder Stewa unattraktiv zu machen. Mathias Schulz singt und spielt Laca wie einen Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann, während Ji-Woon Kim ganz das verwöhnte Bürschchen ist, das keine Verantwortung übernehmen mag.
Seine erste Inszenierung einer Janácek-Oper („Aus einem Totenhaus“, Zürich 2011) übersetzte Peter Konwitschny ins Heute, ließ sie in Mafia-Kreisen spielen – statt im Gefängnis – und in einem modernen Loft. Für seine Grazer „Jenufa“, die jetzt nach einem halben Jahr vom Theater Augsburg in neuer Besetzung übernommen wurde, entwarf Johannes Leiacker dagegen neben den Kostümen drei halb abstrakte, halb konkrete Spielflächen, in denen Konwitschny denkbar realistisch – und konventionell zeitlos – inszenierte: Ein großer Tisch über Kunstrasen im ersten, Schnee auf Drehbühne im zweiten (dazu ein Bett), gelbes (Herbst-)Konfetti für den dritten Akt.
Das sind offene Nicht-Räume, in denen es schwerfällt, die drückende Atmosphäre und die rigide Moral eines Dorfes zu empfinden, ohne die die Tragödie dieser Oper nicht zu verstehen ist. Wenn dann auch noch die Tanz-Szenen beinahe lieblich geraten oder am Ende des zweiten Aktes unvermittelt Schnee fällt, reibt sich der Zuschauer, der seit Jahrzehnten Konwitschnys große analytische Kraft und szenische Phantasie schätzt, verwundert die Augen. Erst gegen Ende, wenn beide Brüder Jenufa vor der drohenden Lynchjustiz bewahren und sie hinter einem umgestürzten Tisch Schutz sucht, sieht man wieder die Intensität Konwitschnys aufblitzen, die man kennt. Sichtbar wird sie auch, wo er etwa eine vermeintliche Nebenfigur, den jungen Jano (wunderbar verkörpert von Samantha Gaul) zur Hauptpartie aufwertet.
Dirk Kaftan – mittlerweile GMD in Graz – studierte die Partitur nun als Gast sensibel mit seinem ehemaligen Orchester ein, aber auch er verweigert die Härten, das Scharfe, alles Schroffe, was dem Hörer wehtun könnte, aber die Essenz dieser Oper ausmacht.