Foto: Szene aus der Uraufführung "The only thing that stops a bad guy (...)" am Schlosstheater Moers. Im Bild: Marissa Möller als Nancy Henderson und Frank Wickermann als Walker © Torsten Silz
Text:Andreas Falentin, am 12. September 2014
Ein hochintelligentes Theaterexperiment, vielleicht am besten zu fassen als so brisante wie aktuelle Fantasie über einen berühmten Satz von Benjamin Franklin, der auch das Spielzeitheft des Schlosstheaters einleitet: „Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird am Ende beides verlieren“.
Das Setting ist angefüllt mit US-Emblemen. Da gibt es den halbhohen, weißen Palisadenzaun, den ewig laufenden Fernseher im billigen Fertighaus und den großen Kühlschrank, der hauptsächlich Bier, Grillgut und fiese Fertigsaucen enthält. Wir befinden uns irgendwo zwischen „Tod des Handlungsreisenden“, „American Beauty“ und „Little Shop of Horrors“ bei Nancy und Mike, „normalen“ amerikanischen Kleinbürgern. Wie aus heiterem Himmel fallen drei schwarz gekleidete, nicht näher definierte, aber schwer bewaffnete Sicherheitskräfte in ihr Haus ein und setzen eine Art Karussell in Gang, ein fortgesetztes Defilee loser Enden, das an die Stelle einer Handlung tritt.
Nancy und Mike, die Individualisten, prallen immer wieder auf ein gesichtsloses System, verkörpert durch die drei Typen in Schwarz und einen feisten Anzugträger, dem Mathias Heße eine widerlich arrogante Bonhomie mitgibt. Die Konfrontationen bauen nicht aufeinander auf, aber irgendwann wird Mike mitgenommen und zerbrochen.
Und dann gibt es noch Walker. Er ist mit Mike zur Schule gegangen, hat Nancy geliebt, im Irak gekämpft, war Golflehrer und rebellischer Aktivist, wird später als Cowboy-Geist und auch als Typ in Schwarz auftreten. Ein amerikanischer Jedermann. Frank Wickermann spielt ihn gelassen als Mittler zwischen allen Welten. Nebenbei tritt er als Erzähler aus dem Off auf, als postmoderner Strippenzieher, der die nicht vorhandene Geschichte weiter aushöhlt, totale Fremdbestimmtheit behauptet und vor allem in perfider Weise Nancys Dekonstruktion betreibt. Dazu werden Songs gesungen, von Sinatra bis zu den Stones, von Genesis bis Nirvana, von Rammstein bis Nick Cave, die beides in bestürzend sinnlicher Weise akzentuieren: die Verlorenheit des Einzelnen wie die zwanghafte Selbstlegitimation der Exponenten des Systems. Weitere Konstante der von der vierköpfigen Band unter Otto Beatus fantastisch begleiteten Songs: Allgemeiner Destruktionstrieb. Das Ensemble singt bombastisch gut, angeführt von Julia Meier mit koloraturgeiler Rockröhre und Marissa Möller, die dem sanften aber nachhaltigen, Hysterie verweigernden Insistieren von Nancy auch musikalisch Gestalt zu geben versteht.
„The only thing that stops a bad guy with a gun is a good guy with a gun“ ist eine bestürzende Reise in vermintes Gebiet in Form einer Textcollage. Minutiös wird vorgeführt, wie eine Gesellschaft an ihrem Sicherheitsbedürfnis tödlich erkrankt. Aus Angst vor einer vermeintlichen Bedrohung werden paranoid alle Regeln zum Schutz des Individuums aufgegeben. Philosophisches steht neben Spinnereien, Chaos- neben Verschwörungstheorie, Donald Rumsfeld neben Internet-Bots. Dazu unterspielen die Schauspieler, manchmal fast bis zur Schalheit. Sie agieren wie gewaltsam aus mehrlagigen Klischees gestanzt, lassen nur sehr wenig „wirkliches Leben“ zu, vergießen aber fühlbar Herzblut, wenn es auch nicht durchgängig bis in die 12. Reihe spritzt. Das mag der merkwürdig spröden Aura der neuen Moerser Festivalhalle geschuldet sein.
Ein übervoller, sehr ernsthafter, in seiner Konsequenz faszinierender Abend, angefüllt mit Thesen und Erkenntnissen, die zum Nachdenken zwingen, Haltung einfordern. Der Zuschauer ist ge-, manchmal wohl auch überfordert. Dann klingeln die vielen Worte einfach vorbei. Bis zur nächsten Explosion. Bis zum nächsten Lied. Also doch „Wirkliches Leben“?