Foto: Szene aus der Uraufführung "Hiob" © Wilfried Hösl
Text:Klaus Kalchschmid, am 21. Juli 2014
„I was asked to finish an unfinished Opera“, singt tastend zu Beginn der zum Komponisten gereifte, erwachsen gewordene Sohn namens Menuchim des Juden Mendel. Der musste den in der Entwicklung zurückgebliebenen Jungen bei der Emigration in die USA wegen rigider Einreisevorschriften als Behinderten in Russland zurücklassen. Das nicht minder gestammelte Fi-fi-finished“ dieses Menuchim (Matthew Grills singt mit feinem Tenor und wunderbar zarter Kopfstimme) klingt am Ende freilich alles andere als eine glückliche Bestätigung und ist ein Hinweis darauf, dass den Jungen sein Stottern ein Leben lang nicht verlassen hat.
Dazwischen erleben wir die ersten beiden Akte der Oper nach dem Roman von Joseph Roth des Juden Erich Zeisl (geboren 1905 in Wien, gestorben 1959 in Los Angeles). Den ersten komponierte er 1939 im Pariser Exil, der zweite wurde erst fast zwanzig Jahre später vollendet, nachdem das Libretto von Hans Kafka endlich fertig geworden war. Sie erzählen vom alten, weißbärtigen Mendel (mit etwas unbeweglicher Stentorstimme, aber darstellerisch überzeugend: Chris Merritt), der jüdischen Jungen das Lesen der Bibel beibringt; dessen Söhne Jonas (Patrick Vogel) und Schemariah (Wiard Witholt) in die Armee einrücken müssen, was die Mutter (mit großer Bühnenpräsenz und tollem Mezzo: Christa Ratzenböck) zur Verzweiflung bringt; dessen Tochter Mirjam (sehr virtuos und sexy: die junge Sopranistin Mária Celeng) die Männer der Reihe nach wechselt. Im amerikanischen Exil nimmt das Schicksal seinen Lauf: einer der Söhne fällt als (amerikanischer) Soldat, vom zweiten und vom Letztgebornen gibt es keine Nachricht; die Tochter wird wahnsinnig und die Mutter zerbricht am Verlust ihrer drei Söhne.
Nach der Instrumentierung der ersten beiden, zusammen gut zwei Stunden dauernden Akte blieb Zeisl bis seinem frühen Tod keine Zeit mehr für die Vollendung. Miron Hakenbeck (Dramaturgie und Regie), der Komponist Jan Duszynski und Daniel Grossmann, auf den die Idee zu diesem Projekt zurückgeht und der sein Orchester Jakobsplatz leitet, erzählen Zeisls „Hiob“ mit Mitteln von heute weiter und zu Ende: Schon zwischen den ersten beiden Akten waren Unterschiede zu hören, wurde die Musik kantiger und spröder. Da schließt der 38-jährige Pole im dritten Teil an, der im amerikanischen Exil spielt und die unerwartete Begegnung von Vater und Letztgeborenem beim Pessachfest zum Thema hat.
Raffinierterweise ist er von Regisseur und Komponist zweisprachig (also englisch/deutsch) konzipiert und fügt sich beinahe nahtlos an. Anfangs sind kaum Brüche wahrzunehmen, erst allmählich werden dissonante Schärfungen hörbar, brechen sich auch die Bläser Bahn.
Zeisls Musik dagegen ist einem emphatisch spätromantischen Stil verhaftet, bei dem das Orchester den immer in einem gesteigerten Arioso geführten Singstimmen oft wie mit einem Klangband folgt – oder umgekehrt. Liedhaftes – wie ein großer mehrteiliger Schlaf-Gesang der Mutter – ist eingestreut, seltsam aus der Zeit gefallene Polyphonie erscheint unvermittelt, ein Chor (der Projekt-Chor München) kommentiert aus dem Off. Und nicht nur dies gibt dem Ganzen etwas sehr oratorisch Steifes, lässt das Erzähltempo des Ganzen im allzu Moderaten steckenbleiben.
„Zeisls Hiob“ ist sicher die auf ihre Art interessanteste und ungewöhnlichste Produktion der diesjährigen Opern-Festspiele, das auch eine Reihe exzellenter junger Sänger des Opernstudios mit kleinen Aufgaben betraut – wie die Bassisten Leonard Bernad und Rafal Pawnuk, den Tenor Joshua Stewart und die Mezzosopranistin Rachael Wilson. Und doch lassen Werk, Ergänzung und Inszenierung mehr Fragen offen als sie beantworten, zumal der Zuschauer in der Reithalle mit einem Interview in „Max Joseph“ mit der Tochter Erich Zeisl und einem nackten Programmzettel abgespeist wird, der außer der Liste der Mitwirkenden und deren Biographien noch nicht einmal eine Inhaltsangabe enthält. Jetzt wäre es an der Zeit, auch in den ersten Teilen bearbeitend – und kürzend – einzugreifen und den dritten Teil noch mehr zu schärfen, um ihm ein wirklich eigenes Profil zu geben.