Text:Tobias Prüwer, am 11. Juli 2014
„Because I’m bad, I’m bad – come on“: Im Moonwalk und Michael Jacksons Nummer-Eins-Hit intonierend bewegt sich Fettwanst Ubu über die Bühne. Soeben hat er hunderte Menschen abschlachten lassen. Warum? Weil er es kann! Trotz obszöner Fettleibigkeit tänzelt der fiese Kerl leichtfüßig über die von Leichen übersäte Bühne und erschafft einen der besten, weil irrwitzig-skurilen Momente dieser Inszenierung. „König Ubu“ eröffnet Jenas Freiluftfestival aus Musik und Theater in der Kulturarena vorm Theaterhaus. Dabei changiert Moritz Schöneckers Inszenierung zwischen großer Groteske und Touch von Störtebeker-Festspiel.
Das Plot um den dumm-dreisten Potentaten ist schnell skizziert. In Polen putscht sich Ubu durch Königmord an die Macht, lässt den halben Hofstaat hinrichten und erlegt dem Volk neben allerlei physischen Grausamkeiten auch noch ein horrendes Steuersystem auf. Mit im Boot hat er seine nicht weniger gierige Gemahlin. Als Russland Ubu den Krieg erklärt, zieht er aus, während in Polen das Volk aufsteht. Vernichtend geschlagen, kann sich das Paar in die Flucht retten, feixt über die bestandenen Abenteuer und schmiedet neue Pläne. Es passiert eigentlich nicht viel in Alfred Jarrys Stück. Und doch zeitigt selbst die massiv gekürzte Jena-Version mit ihren 130 Minuten einige Längen.
Die Einsamkeit des Langstreckenzuschauers: Zwischenzeitlich fühlt man sich immer wieder verloren, wenn das Bühnengeschehen auseinanderfällt. Obwohl die zwischen Bunker-, Lager- und Frontatmosphäre angelegte Bühne geschickt schnelle Ortswechsel ermöglicht, schleichen sich schleppende Momente ein. Das liegt vorrangig am Stück selbst, das vor allem durch seine vulgär-verdrehte Sprache und auf die Spitze getriebenen Absurdität punktet. Da die Schauspieler jedoch mit Funkmikros über Lautsprecher zu hören sind, geht einiges an Sprechtheaterkraft unter. Das macht insbesondere die stilleren Szenen zäh, weil sie der große Bühnenraum zerdrückt und die Effekte des Spektakels nicht eingesetzt werden können. Wo diese allerdings zu sehen sind, wird die Inszenierung zum Genuss überschießenden Irrwitzes.
Setzte Jarry in der Uraufführung 1896 auf ungewöhnliche Theaterästhetik und den Bruch des Konventionellen, so folgt dem Schönecker klugerweise nicht. Jarry etwa reduzierte Massenszenen auf einzelne Personen, während gerade diese in Jena zu den überzeugendsten Momenten werden. Wenn sich unzählige Schauspieler und Statisten ins Schlachtgetümmel stürzen, entstehen herrlich grelle Wimmelbilder zwischen explodierendem Puffs und Pengs sowie Blut spritzenden Konfettikanonen. Besonders hübsch ist eine Parade-Parodie anzusehen: Um den König zu grüßen marschiert Militär in verschiedenen Formationen aus und gerät mit Anleihen an den Bewegungschor zum grotesken Großformat aus rund 40 Akteuren. Starke Musik- und Gesangseinlagen – Elton Johns „Candle in the Wind“ zum Königin-Tod, „War Pigs“ von Black Sabbath während der Schlacht – wetzen einiges an zähfließender Dramaturgie wieder aus. Sie retten den Thronräuber-Tingeltangel zum gefälligen Sommertheater, dessen klaffende Wunde aber das verschenkte Potenzial bleibt.