Der niederländische Videokünstler Aernout Mik inszeniert Boris Blachers Kammeroper "Die Flut".

Trocken-Flut

Boris Blacher: Die Flut

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:06.07.2014Autor(in) der Vorlage:Heinz von CramerRegie:Aernout MikMusikalische Leitung:Oksana Lyniv

Ein zwölfköpfiges Orchester, vier Solisten und 13 Choristen auf einem niedrigen quadratischen Podest, das sich geheimnisvoll langsam in einem Großteil der 68 Meter langen ehemaligen Exerzierhalle eines Königlich-Bayerischen Regiments aus dem Jahr 1894 im Münchner Norden hin- und herbewegt, während das Publikum daneben steht oder umherwandelt: Jeder Besucher entscheidet selbst, was er vom Geschehen auf der Bühne oder von den über ihm schwebenden sieben Video-Leinwänden sehen kann und will.

Denn für Boris Blachers gerade mal 35 Minuten lange Kammeroper „Die Flut“ hat Videokünstler Aernout Mik eigene Arbeiten aus den Jahren 2001 bis 2013, die allesamt von seltsamen Katastrophen handeln, aber inszeniert sind (Banker in einer verwüsteten Börse, schlafende Menschen zwischen Pappkartons, Schrottautos als riesige Käfer in sonnendurchfluteter Hügellandschaft im mexikanischen Tijuana, riesige Regale voller pharmazeutischer Artikel im benachbarten San Diego), mit dem im ersten von zwei Durchgängen von ihm szenisch nur angedeuteten Geschehen lose verknüpft:

Vier Menschen besichtigen ein Wrack, als plötzlich die Flut steigt. Überlebensinstinkte offenbaren den wahren Charakter des Fischers, eines Mädchens, eines jungen Mannes und des alten Bankiers, der glaubt mit Geld den Fischer bestechen zu können. Dieses Geld wird ihm zum Verhängnis, denn als die Flut sinkt, fordert der junge Mann es vom Bankier, der es verweigert – und umgebracht wird. Dem Mädchen, das zuvor mit dem Fischer geflirtet hatte, steigt der neue Reichtum des jungen Mannes zu Kopf und sie folgt dem Mörder. Der zurückgebliebene Fischer träumt weiter vom Glück an der Seite einer geliebten Frau.

Blachers „Flut“ – 1946 wohl die erste Oper eines Deutschen auf einer deutschen Bühne – klingt mit den jungen Sängern, die fast alle aus dem Opernstudio stammen oder neues Ensemblemitglied sind, und dem Miniorchester ungemein prägnant und plastisch. Charismatisch der warme, ausdrucksvolle Bariton und das Spiel von Tim Kuypers als Fischer (die einzige positive Figur des Stücks); kühl berechnend Julia Maria Dan mit klarem, schlanken Sopran als „Das Mädchen“; aufreizend „normal“ Dean Power mit feinem lyrischem Tenor sowie Miklós Sebestyén (Bankier) mit kernigem Bass.

Leider ging der interpretatorische Mehrwert der (Doppel-)Inszenierung (darunter der Einsatz von ein paar liegenden, hüpfenden oder den Mord spiegelnden Statisten) gegen Null. Die Videos waren eher beliebig dem Geschehen zugeordnet, die Bedrohung durch die Flut signalisierte einzig die Musik, die freilich à la Brecht-Weill Emotion und Einfühlung ebenfalls weitgehend verweigerte. Dass die Inszenierung des zweiten Durchgangs dramatischer ausfiel, der Mord und die Gier des Mörders realistischer gezeigt wurden, machte die Sache nicht origineller.

Die größte Spannung des Abends entstand durch die Nähe des Publikums zu den vier Protagonisten. Und was für ein Glück, diese selten aufgeführte Oper gleich zweimal erleben zu dürfen, leider – aber konsequent – beim zweiten Mal ausgerechnet um die schönste und utopischste Nummer (Nr. 8) gestrichen – das Liebesduett zwischen Fischer und Mädchen.