Foto: Kai Jünger (Der grüne Jäger) und das Ensemble © Björn Hickmann / Stage Picture
Text:Andreas Falentin, am 3. Juli 2014
In ihrer Schulkooperationsreihe „Oper erleben“ präsentiert die Oper Dortmund dieses Jahr Judith Weirs 1984 uraufgeführtes „Geheimnis der Schwarzen Spinne“ in der von Benjamin Gordon 2008 für die Hamburgische Staatsoper erstellten Bearbeitung.
Der Plot basiert auf Jeremias Gotthelfs Biedermeier-Roman „Die Schwarze Spinne“. Weir entflechtet die komplexe Erzählstruktur, entschärft die Symbolik, verlegt den Stoff nach Osteuropa und siedelt eine Handlungsebene in der Gegenwart an. So läuft alles lichter ab, märchenhafter. Schließlich sehen Kinder zu. Vor allem spielen Kinder und Jugendliche mit. Die Schüler des Märkischen Gymnasiums Iserlohn singen und spielen – das Wort ist keine Übertreibung – beseelt und werden der Musik und dem Stoff in jedem Moment gerecht. Da mag mal ein Ton brechen oder eine Stimme in der Höhe arg dünn werden, aber der Ausdruck stimmt. Im – bei Opernvorstellungen nicht unbedingt die Regel – vollbesetzten Dortmunder Opernhaus ist es fast 75 Minuten lang mucksmäuschenstill.
Um einen grausamen, mittelalterlichen Grafen geht es, der der darbenden Landbevölkerung eine unlösbare Aufgabe stellt und sie bei Verweigerung mit noch mehr Elend und Tod bedroht. Ein rätselhafter grüner Jäger bietet seine Hilfe an, stellt aber gleichfalls eine unannehmbare Bedingung. Die mutige Christine (Gesa Kampmann mit, auch stimmlich, insistierender Sanftheit) nimmt verzweifelt an. Der Jäger löst die Aufgabe. Als er nicht bekommt, was er will, schickt er die Spinne, die Menschen tötet und ihnen Schmerz zufügt, bis sie eingefangen wird und Christine sie im Sarkophag des just verstorbenen Königs auf immer versenkt. Die Geschichte hält sich, wird Mythos. Ein archäologisches Team der Gegenwart will der Sache auf den Grund gehen und befreit die Spinne unabsichtlich.
Die Inszenierung von Alexander Becker besticht durch stringente Einfachheit und klares Erzählen. Die Ausstattung von Nora Franzmeier ist schön anzusehen und wunderbar auf das Wesentliche konzentriert und die klar strukturierten einfachen Choreographien werden von den Schülern leidenschaftlich umgesetzt.
Am Anfang kriecht die Spinne per Animationsfilm durchaus furchterregend über den Vorhang. Am Ende setzt Becker treffende Akzente. Mit einer witzigen Pathologen-Szene in der Gegenwart und einer abgestürzten Ethik-Diskussion im Mittelalter treibt er das Unheimliche ins Groteske. Und in der Schlussszene transferiert er Gotthelfs Zeitkritik charmant auf eine andere Ebene. Da wird ein heutiger Wissenschaftler vom leibhaftigen grünen Jäger gemeuchelt, der hier nicht der Teufel persönlich ist, sondern eher Naturkräfte und –bedürfnisse repräsentiert.
Die von Solostreichern dominierte Musik ist ein eklektisches Konstrukt, kennt die serielle Provokation wie den romantischen Aufschwung, die lustvoll hingeworfene Dissonanz wie braves melodisches Plätschern. Das Schülerorchester der Dortmunder Gesamtschule Gartenstadt spielt, von wenigen Musikern der Dortmunder Philharmoniker unterstützt, fast sensationell feinfühlig. Michael Hönes hält alle Fäden jederzeit in der Hand, wählt langsame Tempi, um die Mitwirkenden nicht zu überfordern und betont die Heterogenität der Komposition. Da scheint der fiese Graf einem angejahrten Musical entstiegen, singt der grüne Jäger mit drei Waldgeistern ein Aavo-Pärt-Quartett mit Kinderliedereinschlag und das patente Mädchen Caprice in Gestalt der überraschend vollstimmigen Tao Peters zwei Lieder in einer Art Karpaten-Folk. Schmissiges Gebrauchstheater eben, vom jungen Publikum enthusiastisch gefeiert – und durchaus repertoiretauglich!