Foto: Szene aus "Nuit des Hommes", ein Oper(atorium) nach Gedichten von Guillaume Apollinaire nach einer Idee von Jacob F. Schokking © Stephan Walzl
Text:Ute Grundmann, am 30. Juni 2014
Sie setzt ihm lächelnd einen Stahlhelm auf, holt Stiefel und Uniformmantel herbei, zieht ihn an, kleidet sich selbst in einen Militärmantel und besingt die Schönheit der Militärmusik. Doch er, der Soldat, schaut eher unsicher auf das, was sie schon bejubelt. Faszination und Schrecken des Krieges, Hochgefühl und Untergang – beides liegt in Szenen wie diesen, die der Komponist Per Norgard nach Gedichten von Guillaume Apollinaire gestaltet hat. Er nennt sein Werk „Nuit des hommes“ ein „Oper(atorium)“, Klage und Anlage in Musik und Gesang. Premiere auf der kleinen „Bühne am Park“ in Gera war am 100. Jahrestag des Attentats von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslöste.
Intendant Kay Kuntze lässt seine Inszenierung im Foyer beginnen, junge Männer mischen sich unters Publikum, schnippen, klatschen Rhythmen, skandieren, sprechen Texte aus Kriegstagebüchern u.a. von Ernst Jünger. Dann zieht leise, weiche Streichermusik die Zuschauer in den Saal, wo das Streichquartett auf einem Lazarettbett sitzt. Da kündet Haydns Musik von der noch heilen Welt, die von den Schreckensklängen des Krieges abgelöst wird.
Das Werk hat keine Handlung im eigentlichen Sinn, die beiden Protagonisten „Alice“ (Ulrika Strömstedt) und „Wilhelm“ (Mark Bowman-Hester) sind zugleich Prototypen, Stellvertreter. Und Kuntze versucht zum Glück gar nicht erst, den Krieg zu bebildern, wie das Stück arbeitet auch er mit Assoziationen, Gefühlen, Stimmungen. Das beginnt (und endet) in einem Lazarettzimmer, wo sie unter einem Kreuz sitzt, er mit verbundenen Kopf auf einem Stuhl. Sie befreit ihn vom Verband und beide besingen die Morgenröte, eher klagend, von kurzen, fast tonlosen Streicherklängen und Schlägen mit den Bögen begleitet. Beide besingen idyllische Szenen, an die sie sich erinnern und die der Krieg bald auslöschen wird. Der Krieg, der auch sie beide trennen wird: auf Stühlen sitzend, zieht die Bühne sie auseinander und hinterläßt einen Graben – ein starkes Bild.
Grollen, Sirren vom Keyboard, fahle Cellotöne, Splittern, Geräusche kündigen dann das Unheil an. Und aus der fanatischen Kriegsberichterstatterin wird hier eine martialische Kriegsgöttin mit kahlem Schädel, Schwert und blutrotem Rock, die triumphierend das Schlachten besingt und den Soldaten mit einem Todes-Kuss in den (Schützen-)Graben fallen lässt. Beiden Sängerdarstellern fordern ihre Partien eine große Bandbreite von Tönen, Stimmungen, Klangfärbungen ab, was beide überzeugend meistern; ebenso wie das kleine Orchester (Streicher, Schlagwerk, Keyboard) unter Takahiro Nagasaki.
Am Ende versuchen Alice und Wilhelm (der durch ein Fenster heimgekehrt ist), in ihr altes Leben zurückzukehren, sie räumen auf, rücken die Szenerie wie für den Anfang zurecht, doch die Morgenröte, die sie erneut besingen, will nicht mehr leuchten. – Viel Beifall nach 90 intensiven, atmosphärisch dichten Minuten.