Foto: Szene aus dem Musiktheaterprojekt von Regisseur Christof Nel und Martina Jochem, das zuvor bei den Kunstfestspielen Herrenhausen zu sehen war. © Rolf K. Wegst
Text:Annette Poppenhäger, am 23. Juni 2014
Um Mozarts Requiem ranken viele Geschichten, Gerüchte und Mythen. Auch wenn inzwischen ziemlich klar ist, was von wem stammt und wieviel Mozart wirklich drinsteckt. Der Stoff ist einfach zu gut: Ein geheimnisvoller Auftraggeber bestellt ein Requiem für seine jüngst verstorbene Gattin beim 35-jährigen Komponisten. Der ist in den letzten drei Monaten seines Lebens zwar hochproduktiv, die „Zauberflöte“ und „La Clemenza di Tito“ und anderes mehr werden vollendet, bevor er jedoch das Requiem fertigstellen kann, stirbt er. Bis zum letzten Atemzug, noch auf dem Sterbebett, so heißt es, hat er daran komponiert. Witwe Constanze möchte den Auftrag, d.h. die zweite Hälfte des Lohns, nicht verlieren und lässt andere (Mozart-Vertraute, Schüler) am Requiem weiterarbeiten.
Das klingt für uns nach Hollywood („Amadeus“ von Milos Forman z. Bsp.) und ist bereits von Mozart-Zeitgenossen emotional aufgeladen worden. Jetzt ist das Requiem in einer szenischen Aufführung am Gießener Stadttheater zu sehen. Dabei steht das fragmentarische Werk im Spannungsverhältnis zur Neukomposition des südafrikanischen Komponisten Richard van Schoor. „Kenge“, so der Titel, bezeichnet im Zen-Buddhismus eine Antwort, die auf ein Zen-Rätsel gegeben wird. Der Untertitel „Hitotsu No Kotae“ bedeutet so viel wie „…aber nicht die Antwort“.
Der Fragmentcharakter ist Ausgangspunkt für das Musiktheaterprojekt von Regisseur Christof Nel und Martina Jochem, das zuvor bei den Kunstfestspielen Herrenhausen zu sehen war. Es ist eine multimediale musikalisch-szenische Meditation über den Tod, über Verzweiflung wie über Verheißung, heißt es in der Mitteilung des Theaters. Schon beim Reinkommen flackern Filme und Schriften über Bühnenrückwand und Decke des Zuschauerraums. Musik vom Band, womöglich Requiemversionen, erklingen, dazu entferntes Grollen und Donnern. Es mögen Kriegsszenen sein, die da in schwarzweiß ablaufen, Comiczeichnungen, Filmausschnitte. Ein Tänzer (Valentí Rocamora i Torà) und eine Schauspielerin (Anna Franziska Srna) ergänzen das Ensemble aus fulminantem Tölzer Knabenchor und den vier beeindruckenden Solisten. Das Besondere hier: auch Sopran und Alt sind mit dem Counter Valer Sabadus und Filippo Mineccia männlich besetzt.
Ein variables Gerüst, ein großes, leicht gekipptes Bett und ein Auto bestimmen den Raum. Dazwischen eine Leiter, Notenständer, Podeste für den Chor, ein kleines Geviert mit Sand. Die Solisten fallen, stehen wieder auf. Der Tänzer läuft, fällt, steht auf, liegt auf dem Bett – offensichtlich eine Mozartassoziation. Die Schauspielerin schreit, läuft zum Bett (eine Constanze-Verkörperung?), ist schwanger, schleppt einen Koffer, hat Textpassagen, die irgendwann als Ausschnitte aus Christa Wolfs „Kassandra“ zu identifizieren sind. Alle konkreten Hinweise, wie etwa die antiken Namen und direkten Anreden, sind allerdings gestrichen. Damit wird zwar Überzeitliches, Allgemeines anvisiert, doch das Ergebnis landet im Ungefähren, oft Allzumenschlichen. Das macht die Vorgänge kleiner, pittoresker, manchmal unverständlich oder eben auch banal. Ja, „Lebbe geht weider“, wusste schon Fußballtrainer Stepanovic.
Musikalisch ist der Abend unter Michael Hofstetter ein Genuss, die Verzahnung von Alt und Neu geglückt. Rhythmisches Atmen stellt drängende Atmosphäre her, Musik entsteht auch mit Cellophantüten, die dann als Maske vorm Gesicht zum Grusel beitragen. Mozart und van Schoor passen gut zusammen. Inszenatorisch bleibt die Antwort vorerst – offen.