Foto: Sae Kyung Rim als Aida, Francesco Landolfi als Amonasro, Chor, Statisterie © Christian Zach
Text:Wolf-Dieter Peter, am 20. Juni 2014
Keine Palmen, kein Nil-Ufer, kein Pappmaché-Ägypten – dafür auch kein Buh, sondern Bravo-Stürme und Getrampel im Prinzregententheater. Was sich in der Planung nahe am „theatralischen Größenwahn“ las – à la „München Komische Oper wagt sich an den Ausstattungsknüller „Aida“, für den man vier bis sechs Weltklassestimmen braucht“ – entpuppte sich als Theatercoup, schlicht als die überzeugendste Interpretation dieses in München bislang zum „Ausstattungsschinken mit tollen Stimmen“ pervertierten Musikdramas.
Verdi fand 1870 seine Themen in dem Libretto-Entwurf: das Scheitern von Humanität und privatem Glück inmitten von Staat, Macht und Krieg – nicht die exotischen Reize des „ägyptischen Kostüms“ waren das Entscheidende. Genau daran hielt sich das Münchner Bühnenteam: Torsten Fischer (Regie), Herbert Schäfer und Vasilis Triantafilopoulos (Ausstattung), Wieland Müller-Haslinger (Licht) und Daniel Schindler (Dramaturgie). Verbesserbar die alberne Königskrone und das unverständlich helle Licht der finalen Grabkammer, doch zentral überzeugend tauchte vor aller Musik aus dem nachtschwarzen Raum langsam ein Frau in schwarzer Burka auf, die mit einer kreisenden Armbewegung einen Traum, besser: einen Alptraum beschwor. Auf einem zunächst bläulich transparenten Zwischenvorhang hinter ihr wurde eine bedrohlich wuchtige Männer-Gruppierung sichtbar. Diesen kurz darauf weißen Papiervorhang durchstieß plötzlich und brachial eine Männerfaust, die sie mit zarten Frauenhänden öffnete. Durch diesen „Riss im Traum“ trat die Frau dann in den Einheitsbühnenraum – eine bühnengroße Machtzentrale aus poliertem Aluminium. Die Seitenwände fuhren zu Auftritten der „Volksmasse“ hoch. Im Boden waren Gitterwände eingelassen: erst Gefängnis, dann Versteck für feindliche Untergrundkämpfer.
Die Gitterdecke senkte sich am Ende als Grabplatte auf die am Boden liegenden Liebenden herab. Diesen zunächst kahlen und leeren Raum aber hat Regisseur Fischer mit exemplarischen Figuren voller Innenspannung und daraus erwachsender Expressivität, mit hoch differenzierter Personenregie und wenigen Requisiten fesselnd und teils neuen Nuancen „gefüllt“: Radames im Look eines heutigen Irak-Kongo-Syrien-Afghanistan-Sudan-Nigeria-Kämpfers singt sein „Celeste Aida“ direkt an die zumindest ihr Gesicht freigebende Aida, beobachtet vom bulligen Geheimdienst-Chef Ramphis und einer Präsidentinnentochter Amneris im schicken weißen Hosenanzug; das Schnellfeuergewehr des Feldherrn wird „gesegnet“, ein Lorbeerkranz in Aussicht gestellt – und dann motiviert der Geheimdienstchef Radames mit einem alle Modernität und Rationalität doch übersteigenden Blut-Ritual – doch der kehrt blutüberströmt und traumatisiert zum gespenstischen „Triumph-Marsch“ zurück.
Inmitten dieser Männer-Macht scheitert auch die in vielen Szenen auftauchende „Priesterin-Mutter“ Thermouthis (leidend expressiv Elaine Ortiz Arandes). Der von Jörn Andresen sehr gut einstudierte vergrößerte Chor marschierte wie in diktatorischen Staaten üblich, differenzierte sich zu männlichen rohen Drohungen und weiblichen Human-Bitten. Über alle diese gelungenen Szenen hinaus geriet die Gerichtszene am gespenstisch eindrucksvollsten: Radames vor der hochfahrenden Rückwand, eine einsame Silhouette vor dem dunklen, bis zur Brandmauer riesig offenen Bühnenraum, mit den ganz hinten aufgereihten „Richtern“ in schwarzen Anzügen, davor einem Stuhl als „eiskalter „Block“ Ramphis als Machtzentrum – und vorne am Bühnenrand eine in Liebesqual und Hass auf inhumane Macht selbstzerstörerisch rasende Amneris – grandios.
Über alle szenisch fesselnde Dichte hinaus muss aber von den Sängerpersönlichkeiten die Rede sein. Abzüglich Premierenforciertheiten und des vielfach zu lauten Dirigats von Marco Comin: Monika Bohinecs herrlich strömender und zu jeder Attacke fähiger Mezzosopran rückte das Amneris-Drama in den Mittelpunkt. Der Südamerikaner Gaston Rivero gab dem Radames enorme körperliche Präsenz, beachtliche virile Tenor-Markanz und bis zum Ende auch schönes Piano. Sae Kyung Rims Aida überstrahlte den Horror männlicher Machtspiele mit warmem Sopran. Dazu kontrastierten die dunklen Männerstimmen von Francesco Landolfi (Amonasro) und Sergil Magers (Ramphis) eindrucksvoll – bis zum erkennbar „gezielt geschulten“ Kriegsboten von Stefan Thomas. Insgesamt: Münchens erste „Aida“-Produktion ohne szenischen Plunder – dafür hautnah aktuell! Bravi!