"Echnaton" als Tanzoper in Heidelberg

Ausstellungsstücke

Philip Glass: Echnaton

Theater:Theater und Orchester Heidelberg, Premiere:06.06.2014Regie:Nanine Linning

*Nanine Linning inszenierte am Theater Heidelberg Philip Glass‘ Oper „Echnaton“ als Tanzoper*

Philip Glass mag die Geister scheiden, verschreckt er doch manche Adorno’sche Avantgardisten und zieht auf der anderen Seite ein breites Publikum an, seine Werke haben ihren Weg bis in die kommerzielle Kunstwelt gefunden. „Akhnaten“, zu deutsch „Echnaton“, Glass’ dritte Porträtoper (nach denen über Einstein und Ghandi), gehört jedoch zu seinen eher selten gespielten Werken, und das trotz des großen Erfolgs der Uraufführungsinszenierung 1984 an der Staatsoper Stuttgart. Die Oper zeigt fast schlaglichtartig einzelne Sequenzen von Beginn und Ende der Herrschaft des ägyptischen Pharaos. Aufgrund der fehlenden Durchgängigkeit der Handlung ist sie eine große Herausforderung für den Regisseur, gleichzeitig fordert die Wiederholung, das retardierende Moment der Minimal Music von Glass, auch von den Musikern höchste Konzentration.

Hinter der Inszenierung der Heidelberger Chefchoreographin Nanine Linning, die 2010 in Osnabrück mit „Madama Butterfly“ bereits eine erste „Tanzoper“ inszenierte, steht also allem voran ein begrüßenswerter Mut zur (Wieder-)Entdeckung und zum spartenübergreifenden Inszenieren. Als Choreographin hat sie den Abend ganz offensichtlich vollkommen aus der Bewegung heraus gedacht, die im Bühnenraum eine vielschichtige Geometrie entstehen lässt. Die Sänger, also die Herrscher und den Chor, zeigt Nanine Linning als äußerlich kaum bewegte Wesen (verstärkt durch die schönen, aber statischen Kostüme von Georg Meyer-Wiel), die herrschertypische Gesten akkumulieren und von den Tänzern mit Leben umweht werden. Der Retardation in der Musik begegnet die Choreographie mit eigenen Wiederholungen einerseits – bildhafte Figuren lassen das Corps de Ballett zum Beispiel immer wieder aussehen wie uralte ägyptische Malereien – und einer ergänzenden, variantenreichen Bewegungssprache andererseits. Durch diesen enormen Formenreichtum und die Qualität der Bewegungssprache antwortet Linning sehr kreativ auf die inhaltliche und musikalische Vorlage. Die Sehnsucht der Menschen nach einer göttlichen Macht manifestiert sich in einem Greifen und Strecken der Hände gen Himmel. Andere Elemente erinnern an Kampfsport: Drehungen führen zu Tritten, Fäuste boxen in die Luft, wenn Echnaton und seine Anhänger die Amun-Priester und den Tempel angreifen. Die Körperformen als Ausdruck von Emotionen der Masse sind an diesem Abend sehr beeindruckend.

Allerdings stellt sich die Frage, wie man einen Herrscher, der fast vergessen ist, im Theater wieder zum Leben erweckt. Sicherlich waren die altägyptischen Herrscher für das Volk unnahbare Figuren. Und Sänger sollten naturgemäß die Verausgabung nicht im Tanz erleben. Aber reicht es aus, die Protagonisten in teils unbelebt wirkender Starre nur über den Gesang Emotionen ausdrücken zu lassen (was vor allem dem Countertenor Artem Krutko als Echnaton durchaus eindrucksvoll gelingt)? Sie zu den Ausstellungsstücken degradieren, die sie heute sind? Diese Lesart mag legitim sein: Am Ende gibt ein Chronist (mit großer Präsenz sprechend: Dominik Breuer) Auskunft darüber, dass heute nur noch wenige Überreste an die Herrschaft Echnatons erinnern. Doch könnte man annehmen, dass sich die Energie des großartig tanzenden Ensembles noch stärker auf die Sänger-Figuren übertragen könnte. Mit Klarsichtfolie werden die Protagonisten am Ende nicht nur symbolisch mumifiziert, sondern auch sinnbildlich erstickt.

Dem Heidelberger Publikum hat solch eine differenzierte Lebendigkeit bei all dem Spektakel des Abends offenbar nicht gefehlt: Am Ende wurde Nanine Linning vom Publikum mit beinahe kreischendem Jubel gefeiert. Vielleicht ist sie derzeit für die Tanzszene (in Heidelberg) das, was Philip Glass für die Bewegung der neuen Musik ist: ein Popstar.