Foto: "Die Jahreszeiten", Szenisches Oratorium von Joseph Haydn © Birgit Hupfeld
Text:Andreas Falentin, am 27. April 2014
Kriktik zu Joseph Haydn Die Jahreszeiten am Theater Dortmund
Ein merkwürdiges Vorhaben ist das schon. Wie will man Gottfried van Swietens josephinistisch-strengen und dabei so merkwürdig enthusiastischen Text für die Bühne produktiv machen? Zumal Haydns wunderschöne, abgeklärt lebensfrohe Musik denkbar wenig dramatische Angriffsfläche bietet. Jens-Daniel Herzog hat seine Idee im Programmheft klar umrissen. Er sieht in den „Jahreszeiten“ den „großen Kreislauf der Natur und des Lebens“ gestaltet und möchte ein subjektives Geschichtsmodell dagegen stellen, in dem der „Aufstieg und Niedergang“ von Epochen ebenfalls als Kreislauf beschrieben wird. Zum Zeugen wählt er sich die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Das mutige Vorhaben scheitert – nicht an der, tatsächlich hervorragenden, musikalischen Umsetzung, nicht an der Untauglichkeit der Konzeption, sondern hauptsächlich am Kleinmut, wohl auch am Pragmatismus des Regisseurs. Er formt seine Idee nicht aus, sondern illustriert sie nur. Es gibt keine theatralische Behauptung, keine kritische Haltung, nicht einmal das im Programmheft behauptete In-Frage-Stellen. Zu sehen ist ein mit ungelenker Hand gekritzeltes Geschichtsbilderbuch, eine in Einzelszenen zerfallende Anhäufung von Klischees. In Mathis Neidhardts hölzernem Einheitsinnenraum – eine Bahnhofshalle vielleicht, ein Stadtsaal oder eine Schulaula – schneit es zu Beginn. Kriegsheimkehrer wühlen sich unter Lumpen hervor und werden von GIs gespeist. Es wird Schnee geschippt und in die Hände gespuckt. Am Rand wird flink einer entnazifiziert – durch Kleidungswechsel. In Zuschauerraum krakeelt einer wütend herum und geht Türen knallend ab. Auf der Bühne wird Stahl gekocht, ferngesehen und Nachwuchs groß gezogen. Und man kriegt Angst vorm Kommunismus. Pause. Dann folgt, wir wissen es wieder aus dem Programmheft, die Kohl-Aera. 1968 gibt es nicht. Wir sehen ein linkisches Liebespaar im Park, in dem sich südosteuropäisch aufgemachte Familien zum Grillen treffen. Aufmarsch der Schützen in Lodenzeug. Misshandlung der Griller. Ende der Kohl-Zeit. Letzte Szene: Altenheim. Innen schneit es wieder. Alle fahren Rollatoren, werden Opfer von Beschäftigungstherapie und Medikation. Während alle, nahezu gleichzeitig, sterben, läuft ein einzelnes Kind über die Bühne und spielt auf dem Smartphone.
Man kann das mit gutem Willen als Kritik an einer vergreisenden Gesellschaft lesen, aber es fehlt fast alles dazu, vor allem schwarzhumorige Distanzierung, brechtische Lebenswut. Auch wenn man Geschichte als grob homogenen Prozess beschreiben will, darf man nicht derart selektiv vereinfachen und versüßlichen. Das wirkt in letzter Konsequenz nur niedlich – und ziemlich naiv.
Das Dortmunder Publikum feierte das unter Philipp Armbruster fein musizierende Orchester und den musikalisch wie szenisch hoch engagierten Chor lange und enthusiastisch. Der Jubel schloss auch die drei guten Solisten ein, unter denen Anke Briegel herausragte, mit schlankem, sehr schön auf Linie gehaltenem Sopran und bestechendem Ausdrucksvermögen. Als der Regie führende Intendant die Bühne betrat erhob sich laut ein Buh-Gewitter, worauf sich ein unwesentlich kleinerer Bravo-Chor gründete. 30 Sekunden Kulturkampf in Dortmund. Wofür eigentlich?