Foto: Szene mit Claudia Voigt, Gideon Rapp, Victoria So?ntgen, Andrew Pan und Leonardo Rodriguez © Klaus Gruber
Text:Dieter Stoll, am 29. April 2014
Kritik zu Moliere „Die Lästigen“ am Stadttheater Fürth
Wer seine Phantasie an der ganz langen Leine lässt, kann beim ersten Blick auf die Bühne des Fürther Theaters an den Schlossgarten von Ludwig XIV. denken. Dem mehrstufigen Grundriss einer Parkterrasse wie jener, auf der des Sonnenkönigs Amüsier-Auftragswerk von Hofdichter Molière neulich, also 1661, seine Uraufführung erlebte, könnte die ein paar Jahrhunderte später entstandene Szenerie von Bettina Munzer nachempfunden sein. Die einstige Ballett-Komödie mit Orchester-Flankierung mit dem deutschen Titel „Die Lästigen“ erstreckt sich nun wie eine Varieté-Jonglage über mehrere Etagen plus Musiker-Keller. Dort erklingen Kompositionen von Jean-Baptiste Lully allerdings völlig perückenresistent in Norbert Nagels mit viel Ahnung von Tuten und Blasen gebastelter Neufassung aus drei Saxofonen auf Schlagzeug-Basis und vier zappelige Artisten ersticken zwischen Tanz & Travestie jede Sehnsucht nach Menuetten im Keim. Was die öfter mal in anspruchsvolleren Musicals wildernde Choreographin Jean Renshaw mit diesem Team und vier weiteren Schauspielern in faktisch drei Quartetten inszeniert, ist freilich kein nostalgieriger Blick zurück auf ermattete Pracht. Sie entdeckt das kaum noch gespielte Stück neu als Extrem-Theater für eine garantiert sinnbefreite Gruppenrundreise durch Slapstick- und Comedy-Welten. Jacques Tati und Loriot galoppieren mit der einzigartigen Bruderschaft von Buster Keaton und Louis de Funès knapp an den Monty Pythons vorbei. Oder so.
Alles dreht sich um Herrn Eraste, der den ganzen Abend davon abgehalten wird, seine geliebte Orphise zu treffen. Ein Herr mit Hut und Überbiss von trockenpflaumenartiger Seriosität wird zum Opfer der „Lästigen“. Sein Diener steht dem Belästigten immer im Weg, Mitbürger quatschen ihn an den Rand der Bewusstlosigkeit, militant beinchenschwingende Damen mit und ohne Bart bringen Thatcher-artig ihre Handtaschen in Anschlag. Nur das Objekt der Begierde, ein wippendes Weibchen aus Schweinchenrosa und Grasgrün, bleibt konsequent unerreichbar. Zwar wird das bunte Phantom-Mädel mit Doppelgängerinnen vervielfältigt, aber die erscheinen stets auf einer anderen Ebene als Eraste, was den bedauerlichen Herrn zum Klettermax in offenem Ausbildungsvollzug macht. Es ist eine Dauer-Katastrophe im Domino-Effekt und niemand könnte sich wundern, würde er zur Entlastung einfach mal „Das Bild hängt schief“ sagen.
Regisseurin Jean Renshaw schüttelt Molières bissige Reimereien wie einen Cocktail, in dem die Anteile aus Sirup und Salzsäure mit Sprudelwasser aufgefangen werden. Sie lässt Dialoge live vor- und rückspulen, treibt streitende Frauen in unwiderlegbarer Konsequenz vom Keifen zum Kläffen, traktiert das Opfer mit Attacken von Staubsaugern und Bügeleisen. Zum Showdown knallen er und sein Diener (Gideon Rapp und Franz Watzke sind als Multitalente in kabarettistischer Zuspitzung die Zugpferde dieses Komödien-Galopps) rundum alles und dann auch sich selbst so zielsicher nieder, dass es als Bewerbungsunterlage für die nächste Folge von „Men in Black“ schon nach Hollywood unterwegs sein dürfte.
Die Saxkammer Norbert Nagel und Percussion-Artist Werner Treiber fahren mit ihren Lully-Adaptionen immer wieder wie ein Rettungskommando in den nackten Wahnsinn. Die manieristische Gebrauchsmusik schäumt auf als käme sie aus der Espressomaschine. Im Spalier von überquellenden Schaufenster-Vitrinen, das sich über die Etagen zieht, mag man Einkaufsmeile oder Geisterbahn erkennen, ohne so oder so ganz daneben zu liegen.
Zwar wird mal ein Porsche in Hans Weigels deutscher Übersetzung geparkt und der latente Banken-Skandal gestreift, aber der Anspruch der Fürther Aufführung ist eindeutig, dass sie keinen hat. Die Ballett-Komödie „Die Lästigen“ schreit nicht nach einer Comeback-Welle, sie hat mit Renshaws Hilfe zur Freude des juchzenden Publikums einfach mal wieder die Sau rausgelassen.