Foto: Bernhard Langs "Re:igen" im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses © SWR
Text:Frieder Reininghaus, am 27. April 2014
Knappe 15 Takte Ouverture unter dem durchaus angemessenen Titel „Zwielicht“ führen zum Rencontre, das durchaus sinnbildlich auf einem schlecht beleuchteten Weg am Kanal stattfindet. Der potente, aber finanziell klamme Polizist, der in Michael Sturmingers Text-Kondensat Franz heißt, trifft auf Manuela. In gut verständlichen kurzen Sätzen, die fast durchweg repetiert (und dabei mehr oder minder merklich variiert) werden, entrollt sich die „Komödie“ von 1897 mit nervöser Konsequenz: Der Reigen der überwiegend flüchtigen erotisch-sexuellen Beziehungen. Bevorzugt gedoppelt oder noch häufiger wiederholt werden Fragen, die oft keine sind: „Worauf sollen wir warten?“ – „Wohnst du weit?“ Dem sekundieren knappe musikalische Motive oder zwei- bzw. drei tönige Musikpartikel, die ebenfalls vervielfacht werden. Die Dialoge der punktuellen Beziehungen sagen viel über asymmetrische und deformierte Verhältnisse der Geschlechter zueinander aus.
Der Arzt und Autor Schnitzler ließ an der voyeuristisch zu goutierenden Mechanik des Puderns überhaupt nicht teilhaben. Anders Georges Delnon. Der Schwetzinger Auftraggeber und Regisseur drehte nach einer seit den 80er Jahren probaten Regiepraxis die klassische Anordnung von Bühne und Parkett um. Er beorderte die Zuschauer also dorthin, wo sonst die Akteure tätig sind, die Mitglieder des RSO Stuttgart und der SWR-Big Band hingegen in die Logen. Zwischen einem Dutzend Monitoren im Parkett, die erlesene Bildfolgen daher- und dahinflimmern, versieht eine Matratze in wechselnden Positionen ihren Dienst fürs Immergleiche in zehn Varianten. Die elfte gibt’s vorab, als wüsste man nicht, worum es hier geht (ein unbekleidetes Pärchen führt es im Hintergrund exemplarisch vor).
Der Komponist kreierte aus dem einst heiß umstrittenen „Reigen“ polyglotte Theater-Musik, diskursiv oder ‚beredt’. Seine Schreibweise verweist auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze. Indem sie die theatralen Subjekte dekonstruiert, bringt sie die Erzählformen durch die Repetitionen zum Stottern. Zugleich reagiert die mit elektronischen Mitteln operierende Komposition auf mediale Muster, die die Wahrnehmung der althergebrachten Wiederholung als zugleich kommunikatives und ästhetisches Mittel ins Bewusstsein heben. Für einen Hauch Nostalgie sorgen Bezugnahmen auf „Halbseidenes“ aus älterer Unterhaltungsmusik – tändelnder Cha-Cha-Cha-Anschub oder Anklang an die Hammondorgel.
In der partiellen Sparsamkeit der Mittel zeichnet sich die „Reigen“-Musik von Lang gegenüber der von Fabio Vacchi (Florenz 1982) und Philippe Boesmans (Brüssel 1993) positiv aus. Almerija Delic als Repräsentantin des Straßenstrichs und Cornel Frey als schäbiger Freier eröffnen den Reigen, bei dem sich Clara Melonie als durchaus willentliches Haus- und Schulmädchen profiliert sowie Kai-Uwe Fahnert als grotesk moralisierender Ehemann und zum Doppelschlag nicht aufgelegter melancholischer Privatier. Mit seinen unterschiedlichen verbalen Verpackungen und Verbiegungen, Entblößungs- und Direktheitsgraden ist dieser neue „Rei:gen“ eine bemerkenswerte Fortschreibung des „Theaters der Wiederholungen“.