Foto: Henriette Schmidt, Elke Wollmann und Martin Bruchmann in "The Effect" von Lucy Prebble © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 22. April 2014
Ob die Liebe denn nun eher „eine schwere Geisteskrankheit“ (Platon) oder bloß „ein seltsames Spiel“ (Connie Francis) ist, kann natürlich auch die preisgekrönte britische Autorin Lucy Prebble nicht zuverlässig beantworten. Immerhin scheint ihr analytischer Ansatz ein anderer als bei den dichtenden Kollegen, denn während bei denen die Fixierung der zwischenmenschlichen Erschütterungen immer wieder in unwiderstehlichem Metaphern-Sog mitten ins Herz traf, zielt sie etwas höher aufs Zwischenhirn. Dort, wo die Neurologie den Speicherplatz der Sehnsucht und deren Folgen entdeckte (also auch für die Volkskrankheit Depression und ihre pharmazeutische Vermarktung), sitzt der Motor des neuesten Stückes „The Effect
Zwei junge Probanden einer Medikamenten-Studie, eine psychisch angeschlagene Frau voller Misstrauen und ein „Strahlemann“-Jüngling mit Test-Routine, werden entlang an zuverlässig auftretenden Krisen durch den Pillen-Parcours begleitet. Das betreuende Ärzte-Duo ist mit den eigenen Psychosen (früher waren sie ein Paar, jetzt streiten sie über Antidepressiva) eigentlich voll ausgelastet, verzweifelt aber pünktlich parallel zu den Patienten an ethischen Ansprüchen und einem im Wassereimer transportierten Modell-Hirn. Wenn Connie und Tristan, die streng überwachten menschlichen Laborratten, das während der Test-Nächte geltende Sex-Verbot dank funktionierendem SMS-Verkehr umgangen haben, leuchtet die zentrale Frage des Stückes wie eine Wunderkerze aus ihren Augen: Ist diese Leidenschaft wirklich Liebe oder nur chemische Reaktion? Pille davor, Pille danach, Pille anstatt? Am Ende leidet der junge Tristan unter temporärer Totalamnesie und wird ohne Kurzzeitgedächtnis zur Beute seiner zur Glucke mutierten Partnerin, während die in den Patientenstand zurückversetzte Frau Doktor unschlüssig vor dem Medikamenten-Häufchen sitzt, das ihr der liebe Kollege statt Blumen brachte. Happy-Ends sehen anders aus.
Klaus Kusenberg hat in Nürnberg schon die deutschsprachige Premiere von Prebbles groß angelegter Wirtschafts-Satire „Enron“ inszeniert und generell eine Vorliebe für die angelsächsische Dramaturgie der lockeren Hand im Umgang mit aktuellen Diskussionen. Fünf Wochen nach der deutschen Erstaufführung am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater demonstriert er das mit seiner blitzsauber realistischen Inszenierung von „The Effect“, die vor allem auf die Beschreibung der Geschichte als „emotionale Achterbahnfahrt“ setzt. Es gibt also über zwei Stunden hinweg eine zuverlässige Wechselwirkung von kurzen Flachfahrten (wissenschaftliche Erklärungen, gerne auch frontal) und steilen Abstürzen (emotionale Explosionen aller Art), gebettet auf fröhlich angeschwärzten Merksätzen wie „Ich bin tot und mein Körper hat es einfach nicht kapiert“. Damit der Schwung im Tempo erhalten bleibt, muss sich da auch mal einer mit Schuhen ins Krankenbett legen, damit er eine Szene später schnell auf den Beinen ist.
Auf der breiten Kammerspiel-Bühne baute Günter Hellweg geschickt das eiskalt-luxuriöse Forscher-Labor mit zwei Monitoren für wissenschaftliche Demonstrationen und hat die Ziffernreihe der Genom-Datenbank zum Bodenbelag verarbeitet, wo sie offensichtlich mit Füßen getreten wird. Mehr Metapher mag die Regie nicht, denn Klaus Kusenberg setzt lieber auf die dynamische Kraft der Dramatik, die ohne Ablenkung zwischen Gefühlsausbrüchen und Denk-Attacken dem offenen Finale entgegen pendelt. Die Schauspieler steigen engagiert ein: Elke Wollmann spielt die Energie simulierende Ärztin mit dem unbehandelten Depressions-Knick voll Bitterkeit und hilfloser Empörung, Heimo Essl den Ex-Lover und Karrieristen-Kollegen mit matt aufflackerndem Rest-Gewissen im Macho-Gehabe. Stärker im Mittelpunkt sind die wepsige Henriette Schmidt und der hochdruckkomödiantisch die Naivität unterhöhlende Martin Bruchmann. Als Paar, das sich nur Geld dazu verdienen will und plötzlich in aktuelle Kapitel ewiger Existenz-Fragen gerutscht ist, bannen sie durchaus gekonnt den Blick des Zuschauers. Selbst dann noch, wenn die Placebo-Frage (bei wem wirkt die Pille und wo ist es wahre Liebe?) von der Autorin nur noch herumgereicht wird und das geradezu hämisch vorgeführte „gute Ende“ mit dem imaginären Pflegeschwestern-Häubchen über der Erotik auf anekdotische Hilfe (jaja, der Junge hatte zu allem Unglück früher auch noch unerkannte Anfälle und nun kein Gedächtnis mehr) angewiesen ist.
Lucy Prebble gewann für das Stück daheim bereits den „Critics Circle Award“, muss nach der mit Beifall aufgenommen Nürnberger Premiere aber in Deutschland wohl wieder wie bei „Enron“ mit Beachtung auf der mittleren Ebene zufrieden sein. Die ganz großen Bühnen werden sich verweigern, denn es ist, wie bei vielen dieser britischen Gegenwarts-Dramen seit den Serienerfolgen von Alan Ayckbourn: Wichtige, gleich auf den ersten Blick spannende Themen werden aufgegriffen – und dann nur lässig angetippt. Theater wie Illustrierten-Lektüre.