Foto: Szene aus "No Men's Land" von Edward Clug, dem ersten Teil der Dreierabends beim Stuttgarter Ballett © Ulrich Beuttenmüller
Text:Eckehard Uhlig, am 18. April 2014
Das Stuttgarter Ballett hat mit seinen Hauschoreographen großes Glück. Der erst kürzlich für seine innovative „Krabat“-Choreographie gefeierte Spuck-Nachfolger Demis Volpi landete zur Premiere des neuen Dreiteiler-Abends „Fahrende Gesellen“ einen weiteren Coup. Sein uraufgeführtes Kurzballett „Aftermath“ (was „Auswirkungen“ oder „Nachwirkungen“ bedeutet) zur gleichnamigen Auftragsmusik von Michael Gordon setzt mit sphärisch lärmendem Klangrausch (der Orchester-Bläsergruppen) ein. Im erleuchteten Fokus der schwarz-dunkel gehaltenen Bühne tanzt dazu eine mädchenhafte, goldgleißend überstrahlte Kunstfigur.
Solistin Hyo-Jung-Kang bewältigt ihr artifiziell enorm anspruchsvolles Programm mit Meister-Bravour. Wie ein eben aus seiner Verpuppung erlöster, sich mit Verve entfaltender Schmetterling entwickelt sie eine naturhafte Bewegungssprache mit Armen, Händen und Oberkörper, leiden-schaftlich beflügelt, luftig flatternd, erotisch flunkernd im kreiselnden Wirbel – alles zumeist absolviert im Tanz auf der Spitze, dem Markenzeichen des Choreographen Volpi. Im Halbkreis um das Mittelpunktsgeschehen gruppierte und ebenfalls auf der Spitze postierte Geisterwesen schauen gebannt zu. Doch parallel zur abschwellenden Musik erlahmt die Kraft des kurzlebigen Falters. Er, beziehungsweise sie wird von der ausgeschwärmten, in hautfarbene Hemdchen gekleideten Mädchen-Ballettcompagnie eingekreist, bricht noch einmal verzweifelt aus, um sich – immer mehr schwächelnd – schlussendlich aufzugeben und in der insektenhaft wuselnden Masse aufzulösen. Die trippelt, nach rechts und nach links auseinander stiebend, in die Kulissen und tritt mit lautstarkem Spitzenschuh-Getrappel ab, das noch Minuten lang nach dem Verhallen der Musik unsichtbar anhält und crescendohaft gesteigert plötzlich abbricht. Dann folgen begeisterte Publikums-Ovationen für die metaphorisch-sinnbildliche Kunstkreation, die – und das könnte eigentlich traurig stimmen – in Auslöschung und Zersetzung einmündet.
Als Widerpart ist diesem rein weiblich ausgeführten Tanzstück ebenfalls als Uraufführung Edward Clugs männlich bestimmte Choreographie „No Men’s Land“ zu Milko Lazars fünfsätziger Ballettsuite für Cello und Orchester vorangestellt. Da gibt es in den Ensembles rhythmisch markante und kämpferische Konflikt-Szenen, die auch im Quartett oder als Zweikampf ausgetragen werden. Die Stuttgarter Vorzeige-Tänzer sind in schwarz-blauen Strümpfen und Kniebundhosen (bei nackten Oberkörpern) prachtvoll anzuschauen, ästhetisch selbst in hart konturierten, die Gliedmaßen abgewinkelten Posen und machohafter Protzerei. Erstaunlich sind manche sinnlich weich gleitende, fast weiblich anmutende Momente zu den (von Francis Gouton ausgeführten) Cello-Kantilenen. Weniger überraschen dagegen gegenseitige Demütigungen der stets auf flachen Sohlen tanzenden Männer (eine Gruppe muss ihre Hosen herunter lassen) und die Erniedrigung eines Außenseiters (mit dem Solisten Brent Parolin). Witzig endet das Stück, indem die eine Gruppe der Tänzer kniend den Gegner-Partnern von hinten einen Arm mit geballter Faust durch die gespreizten Beine schiebt – ein Bild erigierter Penis-Männlichkeit. Freilich steht nur ein bewunderter Akteur die steil aufrechte Haltung durch, alle anderen knicken ein und erschlaffen.
Die Mittelachse des sinnfällig komponierten Dreiteilers bilden, eine Stuttgarter Traditionslinie fortführend, Maurice Béjarts erstmals hier 1976 gezeigte „Lieder eines fahrenden Gesellen“ zu Gustav Mahlers Liedzyklus. In Stuttgart haben fast alle herausragenden Tänzerpersönlichkeiten „den schönsten aller Männer-Pas de deux’“ schon einmal vertanzt. Im Rollen-Debüt befleißigten sich Jason Reilly (Geselle) und Evan McKie (Begleiter) atemberaubender Eleganz und präsentierten neoklassische Tanzkunst vom Feinsten. Bariton Julian Orlishausen interpretierte den Vokalpart mit feiner Einfühlung, James Tuggle leitete das Staatsorchester Stuttgart (auch in den anderen Balletten) mit intensiver Musikalität.