"Frühlingsopfer", aufgeführt von She She Pop und ihren Müttern

Tiefenpsychologisch

She She Pop: Frühlingsopfer

Theater:Hebbel am Ufer, Premiere:10.04.2014Regie:She She Pop

*„Frühlingsopfer“, aufgeführt von She She Pop und ihren Müttern*

Wenn _She She Pop_ Igor Strawinskis „Le Sacre du Printemps“ (zu deutsch: Frühlingsopfer) auf die Bühne bringt, besteht die Hoffnung, dass hier ein Klassiker noch einmal neu erfunden wird. Das Initialzündungswerk der neuen Musik ist in zahlreichen Choreographien mannigfach variiert worden, vor knapp einem Jahr hat es seinen 100. Geburtstag gefeiert (die Uraufführung fand am 29.5. 1913 in Paris statt). Das Performancekollektiv verlagert das Werk denn auch nicht nur ins Heute, das Stück dient mehr oder weniger nur noch als thematische Vorlage. Es geht um Opfer. Und weil She She Pop auch gern mal ihre Eltern aktivieren („Frühlingsopfer“ versteht sich als Fortführung der Aufführung „Testament“, in der sie ihre Väter auf die Bühne holten), um Generationenkonflikte zu verhandeln, haben sie dieses Mal ihre Mütter zu Rate gezogen, um außerdem die Weiblichkeit des Opferseins zu untersuchen und zu hinterfragen. Ansonsten ist alles anders – der wichtigste Unterschied zum Original: Es gibt zwar einen gesellschaftlichen Kreis (symbolisch gelegt durch ein Seil und die Formationen der sichtbaren Personen), aber _das eine_ Opfer kann es nicht geben – schließlich arbeiten She She Pop immer in der Gruppe, und überhaupt, so sagen sie, „gibt es keine Jungfrau unter uns“, die das Opfer sein könnte. Eine gleichermaßen kluge wie naheliegende Idee: Jeder ist ein (potenzielles) Opfer, und die Opfer bilden den Kreis.

Der Abend gliedert sich in fünf Phasen, Teil 1, 3 und 5 gehören den Erzählungen der Performer und ihrer Mütter, in Teil 2 und 4 wird dann tatsächlich getanzt, man kann die Choreographie von Nijinski erahnen und den echten Strawinski hören: Eine Aufnahme des Cleveland Orchestra, dirigiert von Riccardo Chailly. Ansonsten werden permanent individualisierte Erlebnis- und Erfahrungsphrasen verallgemeinert und herausgeschleudert: „Einige von uns sind für ihre Mutter der wichtigste Mensch auf der Welt“, „Einige von uns sind selbst Mutter“, etc., etc. Die Aussagen legen den Entstehungsprozess der Aufführung offen, zeigen, dass hier so mancher den Konflikt mit der Mutter scheute, dass auch manche Mutter nicht so gern Persönliches offenlegen wollte. Es zeigt sich, dass mal die Kinder Opfer ihrer Mütter sind, mal die Mütter Opfer ihrer Kinder, dann wieder die Mütter Opfer ihrer Männer oder der gesellschaftlichen Erwartungen, früher wie heute. Darüber hinaus bleibt die Opfer-Thematik, zumal mit der angekündigten Frage nach dem Weiblichen des Opfers, mehr oder weniger auf der Strecke. Irgendwie geht es dann doch vor allem um das Verhältnis von vier ganz konkreten Müttern und ihren Kindern. Der Abend hat den leicht bitteren Nachgeschmack von psychologischer Aufarbeitung, die nicht ausreichend verfremdet wird.

Zum Glück mangelt es She She Pop nicht an Selbstironie, über manche Dinge soll nämlich auch nicht geredet werden: „Wir wollen nicht darüber reden, warum unsere Mütter nicht anwesend sind“. Die Mütter sind nur in Videoprojektionen zu sehen. Dass in jedem Performer aber unwiderruflich seine Mutter steckt, zeigen Aufnahmen, in denen die Gesichter der „Kinder“ und ihrer Mütter verschwimmen. Das sorgt, so großformatig auf der hohen Leinwand, für etwas unerwarteten Grusel inmitten des freudigen Anekdoten-Allerleis. Die Fusion von persönlichen und allgemeinen Erfahrungshorizonten, größtenteils humorisch aufgearbeitet, freut denn auch den großen Fanclub, der sich im HAU, einer schon beinahe traditionellen Spielstätte von She She Pop, zur Premiere eingefunden hat. Und auch die anderen fühlen sich unterhalten.