Foto: Helge Letonja: "stardust". Im Vordergrund: Martin Durov; hinten von links: Shannon Gillen, Breanna O'Mara, Annamari Keskinen, Katerina Toumpa, Jonathan Bringert, Rémi Benard © N. Klinger
Text:Juliane Sattler-Iffert, am 7. April 2014
*Die drei Choreografen Helge Letonja, Styliani Zannou und Johannes Wieland setzen sich im Kasseler Opernhaus mit dem Superstar-Hype auseinander*
Der Astronaut (Rene Alejandro Huari Mateus) ist berührt von den Planeten, gerät ins Schwärmen über die Supernova: Sterne , die am Ende ihres Lebens am Himmel verglühen, milliardenfache Leuchtkraft, entrückte Schönheit. Johannes Wieland wählt diese Metapher, um dem Thema seines dreiteiligen Tanztheaterabends „100 000 Superstars“ in Kassel eine kluge und intelligente Wendung zu geben. Eingeladen hat er dazu zwei internationale Kollegen, Helge Letonja und Styliani Zannou – drei choreografische Handschriften also, ein spannender Vergleich im Opernhaus.
Nein, nein, in Kassel sieht man weder Model- noch Song-Contests. Die Choreografen rücken dem Medienhype und der Superstar-Vermarktung kritisch zu Leibe, analysieren, reflektieren, spielen fein und ironisch mit ihren Versatzstücken. Der Österreicher Helge Letonja untersucht in „Stardust“ mit dem siebenköpfigen Tanzensemble und einer Handvoll Statisten die Anziehung von Macht und Masse, die Abhängigkeit von Star und Fans. Er lässt auf mobilen Podien-Elementen tanzen, mal filigrane Körperarbeit, mal anzügliche Bewegungsmuster. Wie Letonja sensibel die Stimmungen in einem fast leeren Bühnen-Raum wechselt, legt einen Hauch von Melancholie über die stille, mit einer sparsamen Sound-Edition (Donato Deliano) auskommenden Choreografie. Und zuweilen sind die Bewegungen wie Linien auf einer Wand.
Bildermächtig kommt dann „The time after“ der Wahlberlinerin Styliani Zannou daher: Eine Apokalypse, in düsteres Licht getaucht, mit ausgespannten Spinnennetzen und einem mit Schredder-Papierstreifen bedecktem Boden (Bühnenbild: Steph Burger für alle drei Stücke). Wenn die Welt zugrunde geht, wird es Zeit, dass wir sie retten. Die Tänzer als Helden des Alltags, als Supermänner und Superfrauen mit dem Fragezeichen auf der Brust (Kostüme: Stefanie Krimmel) entwickeln dabei furiose Bewegungstableaus, konsequente Duette und dramatische Dreikonstellationen – Menschenretter-Bilder. Doch die Heldenpose hat auch ihren Preis. Wie der charismatische Akos Dozsa allmählich unter der Erwartung der Massen zusammenbricht – zum Schluss nur noch ein lebloser Körper im Spinnennetz ist – prägt sich ein.
Und da wäre dann noch Wielands „Supernova“ zur Henry Purcells Trauermusik. Die Tänzer und Statisten, erobern in grauer Einheitskleidung die Bühne: einmal Superstar sein. Die Lady in Pink (Annamari Keskinen) wird für einen Augenblick im Anblick des Ruhms erschauern, eine tänzerische Erzähl-Miniatur über Star-Sein und Vergötterung mit dem typischen Wieland-Blick: Humor und Entlarvung ganz nah beieinander. Wie überhaupt der Kasseler Choreograf immer wieder die extremsten Positionen tänzerisch auslotet: noch im Rausch vollzieht sich das Ende.