Foto: Szene aus Rebekka Kricheldorfs "Rosa und Blanca" © Max Galli
Text:Manfred Jahnke, am 7. April 2014
Stücke von jungen deutschen Autoren, zumal Auftragswerke, werden nach der Uraufführung von den Theatern selten nachgespielt. „Rosa und Blanca“ von Rebekka Kricheldorf aber, 2006 in Kassel uraufgeführt, hat es nun im Freiburger Theater im Marienbad zu einer dritten Inszenierung gebracht. Ausgehend vom Grimm’schen Märchen der Geschwisterliebe – „Schneeweißchen und Rosenrot“ – erzählt die Autorin die Geschichte zweier junger Mädchen, die nicht so werden wollen wie die Anderen. Sie gehen in den Wald, freunden sich mit den Tieren an, was nicht ganz unproblematisch ist. Bis eines Tages der Bär sich von seinem Zwerg, der ihn unter Tage festgehalten hat, befreien kann und sich beide Mädchen in ihn verlieben.
Kricheldorf ist eine bitterböse schwarze Komödie gelungen, die nicht nur mit der Zivilisation abrechnet, sondern auch existentielle Fragen der Identität aufwirft. Die Sehnsucht, nicht in die kalte Welt der Erwachsenen entlassen zu werden, muss scheitern. Denn selbst in diesem mythischen Wald, in dem die Tiere sprechen können, lassen sich die Gesetze des „Marktes“ nicht aufheben: im Konkurrenzkampf um den gleichen Geliebten muss Geschwisterliebe zerbrechen. Der Bär nimmt Rosa‘s Sehnsucht nach Vereinigung wörtlich und Blanca kehrt mit ihrer Mutter wieder in die Stadt zurück: Da gibt es keinen in Gold gekleideten erlösten Prinzen wie bei den Grimms. Nur das Grauen des Alltags.
Für die Realisierung dieses Projektes hat sich das Theater im Marienbad, das sich ständig neu erfindet, auch auf lokale Bezüge eingelassen. Nicht nur die Autorin ist gebürtige Freiburgerin, sondern auch der Regisseur Matthias Kaschig und die Bühnenbildnerin Vera Knab sind in dieser Stadt aufgewachsen. Als Gäste holen sie aus dem Ensemble, das über Jahre hinweg miteinander vertraut ist, ganz neue Töne und Spielweisen heraus.
Statt eines üppigen Waldes hat Knab einen Kunstraum geschaffen, in dem schwarze Plastikstreifen dominieren. Sie füllen nicht nur den ganzen Boden, sondern hängen auch von oben herab. Ansonsten bestimmen unterschiedliche Podeste in den Farben rot und hellgrün den Raum. In der Mitte der Bühne steht eine Kombigarnitur aus Tisch und Bänken, auch in rot. Der Raum macht deutlich, dass hier keine naturalistische Spielweise intendiert ist.
Kaschig entwickelt in seiner genauen Personenregie für Rosa (Daniela Mohr), Blanca (Nadine Werner) und Mutter (Kirsten Trustaedt-Kümmel) eine surreale Spielweise, die deren Konflikte ernst nimmt. Ihre Haltungen werden so zugespitzt, dass hinter der Tragik auch die Komik sichtbar wird. Für die mythologische Ebene der Märchenfiguren überführt er den Surrealismus in pure Theatralität, die aber nicht nur Behauptung bleibt, sondern durch genaue Rollenführung geerdet wird. Was Renate Obermaier als Taube, Dietmar Kohn als Lamm, Christoph Müller als Hase, Dominik Knapp als Reh, das auch noch am Schlagzeug agiert, Heinzl Spagl als Bär und als besondere Kabinettnummer Hubertus Fehrenbacher als Zwerg an fein ziselierter Gestik mit genauem Timing vorführen, ist ein Hohelied auf dieses Ensemble. Kaschig, der genau in die Sprache des Textes hinein zu hören vermag und über ein genaues Rhythmusgefühl verfügt, hat dieses Ensemble herausgefordert und es hat diese Herausforderung bestanden, wie der überwältigende Premierenbeifall des Publikums verdeutlichte. Ein wunderbares Stück für Jugendliche.