Foto: ”Robert Walser", eine musiktheatralische Durchwanderung von Ruedi Häusermann. Szene mit Michael Neuenschwander, Sara Hubrich, Christoph Hampe, Klaus Brömmelmeier, Benedikt Bindewald, Josa Gerhard und Herwig Ursin © Toni Suter / T+T Fotografie
Text:Tobias Gerosa, am 17. März 2014
1920 war Robert Walser von einer Zürcher Lesegesellschaft eingeladen, aus seiner Prosa vorzulesen. Er wanderte die gut 100 Kilometer von seinem Wohnort Biel nach Zürich in drei Tagen – um dann doch nicht auftreten zu dürfen: Er könne gar nicht lesen, beschied man ihm. Der Musiker und Theatermacher Ruedi Häusermann macht sie zum Angelpunkt seines neuesten Abends, der am Schauspielhaus Zürich herauskam. Walser-Prosa, diese oft unscheinbaren Perlen, im Theater? Man wird begrüßt, als wäre man bei einem Kammerkonzert mit Lesung. Ein Streichquartett tritt auf, Applaus, der Veranstalter (Michael Neuenschwander) begrüßt das Publikum und erzählt die Walser-Wanderepisode, Applaus, sie beginnen zu spielen.
Häusermann hat für diesen Abend eine ganze Menge Musik geschrieben – auf der zur Premiere eingespielten CD sind 14 Sätze enthalten. Im Quartett ersetzt eine zweite Bratsche die zweite Geige, Geige und Cello spielen oft in Lagen, die die vier Instrumente sehr nah zusammen klingen lassen. Oft raunt die Musik, scheint zu kreisen und schafft mehr Stimmung, als dass sie eigene Dringlichkeit bekommen würde. Dass die Spieler ihre Instrumente auch am Bühnenbild reiben, um Klänge zu erzeugen, dass sie dazu hauchen und singen, dass sie auch mal Klavier spielen oder das Stühlerücken musikalisch integrieren, gehört fast schon zum Standard sich avanciert gebender Musik.
Dagegen steht Robert Walser, steht eine Kompilation seiner Texte, zwischen einzelnen Sätzen und etwas längeren Teilen. Herwig Ursin und Michael Neuenschwander betonen die Einfachheit und bisweilen auch eine typisch schweizerische Art Walsers, seine Sonderlinge. Klaus Brömmelmeier ist für eine disztanziertere und in ihrer Schlichtheit auch vielschichtigere Sprechweise zuständig. Einen roten Faden gibt es nicht, Text und Musikstücke oder -Fetzen lösen sich ab, wie schon öfter bei Häusermann entsteht das Bühnenbild nach und nach durch Möbel und einfache Züge (Bühne: Bettina Meyer). Das funktioniert mal besser, mal weniger, immer wieder droht die Gefahr der bildlichen Doppelung. Alternativ dazu wird die Musik in Szene gesetzt, hantieren Musiker und Schauspieler mir Tischen oder großen Trichtern und schaffen damit verspielte Stimmungsräume, die Walsers bisweilen verschrobenen oder auf ganz eigene Art lyrischen Sätzen versuchen, einen theatralischen Rahmen zu geben.
Häusermann gibt dem Abend den Untertitel „musiktheatralische Durchwanderung“ und führt ihn am Schluss wieder zu Walsers Lesung in Zürich zurück: Brömmelmeier liest am Tischchen Walsers Text „schneien“, inszenierte Lesung und wirkliche Lesung überschneiden sich. Man kann da eine Anspielung auf Walsers Tod anlässlich einer Wanderung im Appenzeller Schnee sehen. Aber eigentlich braucht es sie nicht, am besten funktioniert Häusermanns Abend, wenn er sich ganz auf Walser verlässt: auf die Texte.