Foto: "Raus aus dem Simmingpool..." in Bochum. Szene mit Torsten Flassig, Nicola Thomas, Sarah Grunert und Matthias Eberle © Diana Küster
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 14. März 2014
„Endlich“ denkt Moana, als das Auto auf sie zurollt. Gerade bearbeitete sie noch mit gehetzter Ruhe ihre Computertastatur, wollte vorm nächsten Meeting kurz etwas essen… doch der erwartete, auch ersehnte Crash bleibt aus. Eine rettende Hand erwischt sie am Hosenbund. In Malte C. Lachmanns Uraufführungs-Inszenierung von Laura Naumanns Stück „Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken“ blendet das Gegenlicht auf wie Scheinwerfer. Voilà: Der Auftritt eines androgynen Schutzengel, herabgestiegen aus dem Himmel über Berlin. Nikita heißt diese Epiphanie der Unschuld in weißen Jeans und Shirt unter grauer Kapuzenjacke, die dann als Katalysator in Moanas Patchworkfamilie einfällt.
Es ist eine alte Geschichte, die die junge Laura Nauman (Jahrgang 1989) erzählt. Nach dem hochgelobten „Demut vor deinen Taten Baby“ um ein terroristisches Frauentrio wendet sich ihr neues Stück, ein Auftragswerk des Schauspielhauses Bochum, den erstickenden Lebensentwürfen und dem Einbruch des Fremden zu. Moana, die in einer Beratungsfirma für Großunternehmen arbeitet und stundenlang in der Badewanne zu entspannen versucht, ist mit ihrem Freund Boris wieder bei ihrer Stiefmutter Christiane eingezogen. Die war einst eine erfolgreiche Kriegsberichterstatterin, bis sie Nachrichtensprecherin wurde. Man ficht die bekannten Kämpfe aus: Politisches Engagement versus Investoreninteressen, Umweltschutz gegen Wegwerfmentalität inklusive all der damit verbundenen Heucheleien. Boris, der als Steward bei einer Fluglinie arbeitet, scheint dagegen ganz zufrieden. Nichtsdestotrotz nagen an allen die Mechanismen gesellschaftlichen Funktionierens – bis Nikita auftaucht, in den jeder aus dem Familienterzett seine Wünsche samt dem erwünschte Geschlechts projiziert.
Die gelungene Uraufführung im Bochumer Theater Unten kommt zunächst komödiantisch leicht daher und setzt ganz auf Naumanns pointensatte, genau konturierten Dialogen. Die drei Familienzombies sitzen in hölzernen Wohnparzellen auf Rollen (Ausstattung: Udo Herbster): Moana in einem Badezimmer, das zugleich Büro ist, Boris in einer Küche mit Boardtrolley und Christiane hinter einem Newsdesk aus Kartons für Alkoholika. Zum familiären Stelldichein trifft man sich auf einem hereingeschobenen grünen Sofa. Naumanns Figuren entpuppen sich schnell als Sprechmaschinen, die sich völlig erklären, ohne Rest. Ein Geheimnis haben sie nicht, ihre Obsession ist ihre Funktion. Moana (Sarah Grunert) ist schiere Selbstkontrolle, getrieben von einer verqueren Arbeitsethik, Nicola Thomas als Christiane trägt ein ranzig gewordenes Engagiertsein vor sich her, bis sie ihren Abgang im Fernsehstudio inszeniert. Matthias Eberles Boris gibt dagegen den vermittelnden selbstgenügsamen Ruhepol. In diesen Kokon bricht das Unerwartete in Gestalt von Nikita. Torsten Flassig gibt ihm die Anmutung eines allseits freundlichen Seelenklöpplers, unberührbar und doch immer verfügbar; er hilft Moana mit ihren gebrochenen Armen beim Trinken genauso wie er sich auf dem Sofa interessiert Christianes Probleme anhört. Man denkt an Pasolinis Film „Teorema“, nur dass bei Naumann die Epiphanie nicht in gesellschaftliches Engagement, sondern in verstörte Innerlichkeit umschlägt. Als Nikita verschwindet und einen Kiosk eröffnet, lümmelt das Trio verstört im Polster („Erschöpft von uns selbst und ratlos“). Ein so unterhaltsamer wie beeindruckender Abend.