Foto: Glucks "Armide" in Lübeck. Sabina Martin (Armide), Gerard Quinn (Hidraot) © Jochen Quast
Text:Andreas Berger, am 4. März 2014
Küsse, Bisse, das reimt sich, so warf sich schon Kleists Amazone Penthesilea über den Helden Achill: Kriegsweiber suchen sich auch in der Liebe nur den stärksten Gegner. Kein Wunder, dass es die Tassosche Soldatinnenkönigin Armida auf den schönen Renaud abgesehen hat, der bei Händel als Rinaldo zu Titelehren gekommen war. Christoph Willibald Gluck fokussiert dagegen in seiner französischen Oper „Armide“ die Zauberin selbst, die den Kreuzritter nur mit den Mächten der Unterwelt an sich binden kann, in seinen Armen dann selber schwach wird und ihn prompt wieder an seine Kameraden verliert.
Zum 300. Geburtstag Glucks hat das Theater Lübeck sich dieser finstren Magierin entsonnen und schlägt durch eine schlackenlose und hochdifferenzierte musikalische Interpretation in ihren Bann. Das ist vor allem das Verdienst von Christoph Spering am Pult, der als Spezialist für die Musik vom Barock bis zur Frühromantik bekannt ist. Ihm gelingt es, das für seine Wagner-Interpretationen gerühmte Philharmonische Orchester Lübeck zu einem offeneren Klang zu lichten, ohne in die Manierismen mancher Alte-Musik-Fanatiker zu verfallen, die sich in dünnem Ton und Zierrat verlieren.
Gleich die Ouvertüre klingt frisch und festlich, aber auch füllig und gerundet im Gesamtklang der Instrumente. Und so geht das weiter: zügige Tempi und kämpferische Geste wechseln mit ariosen Selbstbefragungen, in denen Spering sensibel dynamisch variiert gemäß des wechselnden Ausdruckswerts. So kommen die Qualitäten der Gluckschen Reformoper bestens zum Tragen: Die Arien wirken weitgehend aufgelöst zugunsten eines dramaturgisch motivierten Monologisierens, das sich organisch mit der durchkomponierten Handlung verbindet.
Und das Raum gäbe, die Psychologie der Figuren auch szenisch zu erörtern. Kann Renaud unter dem Zauber Gelüste offenbaren, die der Kreuzritter sich sonst verklemmt? Wie geht Armide mit der Erkenntnis um, dass nur Magie, nicht Zuneigung den Geliebten zu ihr treibt, die Sieggewohnte plötzlich trotz ihrer Zaubermacht die Enttäuschte ist? Michael Wallners Inszenierung gibt darauf keinerlei Antwort. Er lässt eher barocke Tragödie in postmoderner Stilisierung spielen. Heinz Hausers Bühnenbild in kräftigen Popfarben wird von einer Spirale beherrscht, die noch gut für das dynamische Kriegsgeschehen stehen könnte. Eher peinlich hängt darin zum Liebesduett ein phallusartiger Gaze-Schlauch, der die Liebenden umschließt. Statt Wilsonscher Minimalgestik lässt Wallner eine oberflächliche Zeichensprache walten, mal choreographierte synchrone Armbewegungen der Kampfbräute, dann tatsächlich Pferdetrappeln auf der Stelle für die Kreuzritter.
So müssen die Sänger durch ihre musikalische Interpretation ihre Sinneswandel und Gefühle beglaubigen. Und das gelingt ihnen hinreißend. Sabina Martin ist eine großartige Armida, die ihren substanzvollen Sopran hassvoll erbeben oder warm erblühen lassen kann, dabei füllig und klar klingt und noch im Piano verständlich ist. Als Renaud zeigt Daniel Jenz einen frei und geschmeidig klingenden lyrischen Tenor, der auch in der Höhe klar bleibt und in seiner letzten Szene weitstrahlende Kraft beweist. Den personifizierten Hass singt Violetta Hebrowska mit prägnantem Mezzo, und als verführerischer Dämon brilliert Leonor Amaral mit einem leuchtend weichen Sopran. Ensemble und Chor ergänzen zu einer musikalisch hoch bemerkenswerten Würdigung Glucks in Lübeck.