Foto: The Beggar's Opera/Polly © Claudia Heysel
Text:Joachim Lange, am 24. Februar 2014
„The Beggar’s Opera“ von John Gay und Johann Christoph Pepusch aus dem Jahre 1728 passt allein schon deshalb ins Programm des Kurt-Weill-Festes, weil sie genau 200 Jahre später für Kurt Weill und Bertolt Brecht die Vorlage für ihre „Dreigroschenoper“ lieferte. Womit die beiden einen noch größeren Erfolg hatten als ihre Vorgänger. Dass Gay dem Londoner Lokalmatador in Sachen Oper Georg Friedrich Händel damit gewaltig vors Schienbein trat, liegt so lange zurück, dass man es heute großzügig ignorieren und sich voll auf die aktuelle Sprengkraft dieser kleinen Opernrevolte von anno dazumal konzentrieren kann.
Da das Motto des 22. Festivals zu Ehren des 1900 in Dessau geborenen Komponisten „Aufbruch. Weill & die Medien“ lautet, kann man (aus zwei dafür reservierten Logen) sogar live twittern. Sollte jemand von der schwarz-roten Magdeburger Landesregierung im Saale gewesen sein, dann hätte der alle Hände voll zu tun. Hätte diese Regierung nämlich Humor, dann könnten ihre Emissäre, wenn schon nicht über ihre Entscheidungen, so wenigstens über eine Honorierung der von höchster Stelle beigesteuerten Zitate zum flott aufgemöbelten Text nachdenken. Sie hat aber keinen. Und in Dessau und auch sonst im Kulturland Sachsen-Anhalt ist, wenn überhaupt, nur noch Galgenhumor angesagt. Eine Bettler-Oper passt in diesen Tage viel besser nach Dessau, als man sich das je hätte träumen lassen.
Heutzutage müssen sich Schauspieler nicht nur die beliebte (aber nicht ganz ernst gemeinte) Frage gefallen lassen, was sie eigentlich am Vormittag machen, sondern auch die todernst Gemeinte, wozu sie überhaupt nötig sind. Wie man aus der zweihundert Jahre alten Vorlage über den Bettlerkönig Peachum und sein Gewerbe, die Tochter Polly (Jenny Langner) und ihren Macheath (Mario Klischies), dessen Auslieferung an die Justiz zwecks Gelderwerb und seine Errettung durch den reitenden Boten des Königs einen Welterfolg mit moralischen Erkenntnisnährwert machen kann, das haben Brecht und Weill exemplarisch vorgeführt.
Wie man daraus ein höchst aktuelles heute-show-Theater machen kann, das ist jetzt in Dessau zu erleben. Irgendwo zwischen barockem Ausgrabungscharme und Musical-und-Song-Schmiss (mit passgenauen musikalischen „Anreicherungen“ von Christoph Reuter und Cristin Claas), aktueller Überlebenskampf-Satire und überdrehtem Bühnenblödsinn gibt’s also die aufgemöbelte Balladenoper „durch die ehrbare Schauspieltruppe des Anhaltischen Theaters zu Dessau“. Und nach der Pause die ausgebuddelte, (seinerzeit durch Verbot geadelte) Fortsetzung „Polly“ als Ausflug des Stück-Personals in die Neue Welt. Zugegeben, im zweiten Teil hat der Comedy-Theaterkriegspfad auf dem der zu Morano mutierte Macheath und die Inkognito-Polly in Männerklamotten wandeln, mit den Rothäuten kämpfen, um am Ende die Happyend-Pfeife zu rauchen, ein paar Präriepappfelsen zu viel zu umgehen. Lässt man sich aber drauf ein, dann springt der Funke über und die Balance zwischen ernstem Leben und heiterer Kunst geht in Ordnung.
Zumal in diesem Fall der Regisseur André Bücker vom so furchtlosen wie fantasiereichen Intendanten eines Hauses am Abgrund beflügelt wird und seine Schauspielertruppe fantastisch mitzieht. Komödiantisches Tempo kommt zum virtuosen Wechsel zwischen adaptierten barocken Musiknummern, ausgestelltem Volks- und Moritatentheater und dem Aus-der-Rolle-ins-Leben-fallen. Wobei niemand die Wut der Verzweiflung, wie sie eben herrscht, wenn die Magdeburger Turmuhr Zwölfe schlägt, unterdrückt. Das wirkt alles ziemlich authentisch. Auch der Wechsel zwischen der runtergekommenen Plattenkulisse und dem Wildwestcharme, den Jan Siegert als Bühne beisteuert und die den Fundus ausschöpfenden Kostüme von Suse Tobisch ihren Teil beitragen. Wenn die Balletttruppe von Tomasz Kajdanski dann mit zynischer Freundlichkeit von der Bühne und aus dem Theater komplementiert und jeder aus der internationalen Truppe ein Goodbye in seiner Muttersprache hinterhergeschickt bekommt, dann bleibt jedem
im Saal das Lachen im Halse stecken.
Alles fängt links und rechts neben dem Laufsteg über dem Orchestergraben, wo sich unter Leitung eines Daniel Carlberg im roten Glitzer-Jackett Mitglieder der Anhaltischen Philharmonie und der Band „L’Arc Six“ versammelt haben, ziemlich nobel barock klingend an. Dann tritt Gerald Fiedler als Peachum vor den Vorhang. Und fällt im Handumdrehen aus der Rolle des Bettlerkönigs in die des Schauspielers und Zeitgenossen, der es satt hat, zu betteln. Als er die verbale Kavallerie Richtung Magdeburg losschickt, dauert es nicht lange, bis einer vom Rang aus dazwischen geht. Mit jener ökonomisch getarnten Obrigkeitsattitüde, die mittlerweile der herrschende kulturpolitische Kammerton im Lande ist. Hopman heißt Sebastian Müller-Stahl im Stück übers Stück. Seine Texte kennt man aus diversen ministeriellen Mündern oder Beraterfedern. Der Name ein Euphemismus. Der Mann gefangen in den engen Grenzen buchalterischer Denkkurzschlüsse. Der angespitzen Autorenfeder von Andreas Hillger (und Bücker) merkt man an, dass sie im Auge des Orkans arbeiten, wissen, wovon sie reden (lassen). Für sich genommen ist dieser Text so eine Art Essay zur Lage in einem Land, in dem kulturpolitische Ignoranz und Phantasielosigkeit großkoalitionär in Stein gemeißelt sind. Doch es kippt nicht in die Betroffenheitsrethorik, denn es funktioniert auch als flotte Vorlage für handgemachtes Theater.
Es geht schon sehr deutlich zu, wenn Peachum, Polly, Macheath und all die anderen gegen den zusammengefassten Quark des Mr. Hopmann, respektive die Dessauer Schauspieler gegen das Magdeburger Kulturinfarkt-Kauderwelsch vom Leder ziehen. Aber wann und wo, wenn nicht jetzt und hier in Dessau sollten sie das tun? Verboten wird ja gottlob nix. Nur halt nicht mehr mitfinanziert. Wie singt der Schlusschor? Alles nur Theater! Vorhang zu und die Fragen offen! Der Beifall des Publikums hat in Dessau seit einiger Zeit immer etwas von einer Solidaritätsbekundung….