Foto: Sarah Hostettler, Daniel Fries und Stefanie Rösner in "Betrunkene" am Düsseldorfer Schauspielhaus © Sebastian Hoppe
Text:Stefan Keim, am 24. Februar 2014
Rund ums Düsseldorfer Schauspielhaus ging es zuletzt mehr um Kulturpolitik und weniger um die Bühnenkunst. Aber gespielt wird auch noch, zum Beispiel die Uraufführung des Stücks „Betrunkene“ des russischen Dramatikers Iwan Wyrypajew. „Nachts. Auf der Straße. Alle sind betrunken.“ Die Regieanweisung wird als Übertitel eingeblendet. Da steht zum Beispiel eine junge Frau und sagt zu einem Fremden: „Ich liebe dich.“ Der ist gerade mit seiner Frau unterwegs, lässt diese spontan stehen und glaubt einfach, was er da hört. Hektisch rast die Gemahlin im Kreis um die beiden herum, hüpft hysterisch, fordert ihn zum Weitergehen auf. Doch er meint, er habe doch gerade die Frau gefunden, die ihn liebt. Seltsam ist das, surreal und schwebend leicht, ein Traum ein Rausch. Niemand ist nüchtern im Stück „Betrunkene“ von Iwan Wyrypajew.
Der 1974 geborene Dramatiker ist bisher in Deutschland vor allem mit seinem Stück „Sauerstoff“ bekannt geworden. Zehn Teile hat es wie die zehn Gebote und vermengt sprachlich Heiliges mit Heftigem, Bibelzitate mit derbem Slang. Diese Mischung gibt es auch im neuen Stück. Jeder ist Gott. Oder genauer gesagt: Jeder ist ein Körper, ein Gefäß für den Geist Gottes. Gott spricht vor allem aus den Betrunkenen. Aus Paaren, Prostituierten, Männern aus dem mittleren Management, die plötzlich Gottes Geflüster in ihren Köpfen hören. Auf der Bühne wird kein einziger Schluck getrunken. Es geht um den Rausch als Geisteshaltung, die Körper torkeln, die Sinne sind offen. Und alles ist möglich, sogar die Erkenntnis, was der Sinn des Lebens ist: „Werdet so cool wie Gott, der keinen Schiss hat und Tag für Tag weiter baut an dieser Welt“, sagt einer der Betrunkenen. „Egal ob wir rumheulen oder uns in dieser süßen Melancholie suhlen, die wie Onanie ist. Verdammte Scheiße! Schluss mit Wichsen! Es ist Zeit, mehr zu lieben als nur sich selbst.“
Oft lässt Iwan Wyrapajew Sätze wiederholen wie ein Mantra. Die Sprache hat eine ganz eigene musikalische Poesie. Regisseur Viktor Ryschakow, der schon viele Uraufführungen seines Freundes Wyrypajew inszeniert hat, trifft diesen Ton mit dem großartigen Düsseldorfer Ensemble genau. Bei allen trunkenen Höhenflügen, behalten die Schauspieler Bodenhaftung und Glaubwürdigkeit. Die Bühne (Maria Tregubova und Alexej Tregubov) besteht zunächst aus einer riesigen Schräge, auf die ein schwarzweißes Gitter projiziert wird. Weiße Möbel schweben von der Decke herab. Im zweiten Teil ist die Spielfläche leer, nun müssen die Menschen die Nähe des Nichts aushalten. Die Musik des Abends (Alexander Monotskov) ist ein Scharren, Schaben, Kreischen und Rasseln. Zu Beginn sitzen die Schauspieler wie ein Geräuschorchester an den Seiten der Bühne und stimmen darauf ein, dass hier etwas Ungewöhnliches geschehen wird. „Betrunkene“ ist eine Komödie am Rande des Abgrunds, ein faszinierender Theaterabend. Und ein starkes künstlerisches Lebenszeichen des Düsseldorfer Schauspiels.