Foto: Ines Schiller und Sascha Nathan in "Der weiße Wolf" am Schauspiel Frankfurt © Birgit Hupfeld
Text:Die Deutsche Bühne, am 10. Februar 2014
Nein – der Autor Lotar Kittstein hat kein Vertrauen zur mehr oder minder dokumentarischen Methode, die andere Theatermacher derzeit und in näherer Zukunft vorzugsweise verwenden, um auf der Bühne vom mörderisch-verblendeten Treiben der Terrorzelle zu erzählen, die unter dem Namen „NSU“ (nationalsozialistischer Untergrund) über Jahre hin und landauf-landab türkische wie griechische Besitzer von Schnellimbissen tötete. Viel zu lange blieb sie unentdeckt, nicht zuletzt durch unentschuldbare Pannen bei der Fahndung noch nach dem Tod der beiden Männer im Trio. Beate Zschäpe, die Mitkämpferin der Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, steht derzeit in München vor Gericht. Aber die Taten selber oder gar die Umstände des Prozesses interessieren Lothar Kittstein kaum – für das Kammerspiel „Der weiße Wolf“ hat er bestenfalls Fährten ausgelegt, die zum NSU führen.
Von einem Trio wie dem NSU erzählt er; und tatsächlich scheinen auch die beiden Männer im Spiel final vereint zu sein im Tode – wie die realen Terroristen, die zusammen starben. Bis dahin haben Gräck und Tosch allerdings eineinhalb Stunden lang ziemlich real und gegenwärtig um die Gunst von Janine gestritten, ein wirres Weibchen, das vor allem ganz viele deutsche Kinderchen gebären will. Mit Gräck lebt sie zusammen – der ist nach dem vorläufigen Ende der Gruppe halbwegs heimisch geworden als Rausschmeißer in der Disco, die „Der weiße Wolf“ heißt; genauso wie ein rechtsradikales Info-Blättchen, erfahren wir aus dem Programmheft. Auf der Tanzfläche, am Tresen und vor der Tür sorgt Gräck nach brachial-deutscher Sitte für „Ordnung“. Das schräge Paar bekommt an Janines Geburtstag Besuch vom alten Kumpel Tosch, der sie an gemeinsame Rumtreibereien in früheren Jahren erinnert und dabei nur so sprudelt vor nazistischem Gedankengut – er, Tosch, fährt noch immer über Land und „sucht Ziele“: für Anschläge, darf vermutet werden. Mit diesem Besuch soll alles von vorn beginnen – doch am Ende steht russisches Roulette mit geladenen Waffen.
Der Text ist schnell und hart, Kittstein sucht eine Mischung aus vulgärer Grobheit und poetischer Überhöhung. „Der weiße Wolf“ ist ja nicht nur Disco und Zeitschrift – so einer steht eines Nachts auch plötzlich vor Toschs Auto; und löst sich in Luft auf. Eine Vision – am Stück-Ende aber tapst ein richtiges Tier über die Bühne. Der Text benennt mediale Ikonen der Fremdheit: Plakate an der Wand und Bilder aus dem Fernsehen, die markieren, wie gründlich das Land diesen drei Zurückgebliebenen abhanden gekommen ist. Warum aber dieses Fremdheitsgefühl umschlägt in Mord und Totschlag, bleibt ein Rätsel – Kittstein bringt sonderbare Erlösungsphantasien ins Spiel; etwa die vom „Osten“, wo sich das Paradies finden werde, eines Tages, wenn alles Fremde ausgerottet ist.
Das Programmheft bemüht gar den deutschen Nibelungen-Komplex und das Sterben in Stalingrad. „Der weiße Wolf“ ist aber kein deutsches Panorama, sondern ein grobes kleines Kammerspiel, unter immensem spielerischen Hoch- und Überdrück bewältigt von Ines Schiller, Sascha Nathan und Torben Kessler in Christoph Mehlers kraftvoll-konzentrierter Inszenierung. Kittstein erzählt von einer Lebens- und Gedankenwelt, die teils zugänglich, teils unbegreiflich ist. Terror kann und will der Autor nicht erklären.
Im Angesicht der realen Opfer aber, und der mutmaßlichen Mittäterin vor Gericht in München, ist ein Sandkastenspiel wie dieses viel zu wenig.