Foto: "The Basketball Diaries" am Landestheater Coburg © Andrea Kremper
Text:Christian Muggenthaler, am 27. Januar 2014
Von New York nach Coburg: Die „Basketball Diaries“ sind das Tagebuchwerk des in Amerika recht populären und in Europa deutlich weniger rezipierten US-Schriftstellers, Dichters und Rockmusikers Jim Carroll (1949-2009), in dem der mit vielen Talenten gesegnete junge Carroll seine Heroinsucht schilderte und, obgleich jung an Jahren, erstaunlich hellsichtig die Hintergründe seiner Drogenkrankheit reflektierte.
Dieser authentische Bericht aus den Abgründen des Lebens eines Junkies wurde 1995 mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle verfilmt und war in Deutschland unter dem Titel „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ zu sehen. Jetzt ist dieser Bericht auch im Theater präsent. Und wie. Mit „The Basketball Diaries“ hat der junge Schauspieler und Regisseur Sönke Schnitzer ein geballtes Stück Theater verfasst und auf die Bühne der Coburger Reithalle gestellt: kraftvoll, cool und erhellend.
Erhellend deshalb, weil es in keinster Weise belehrend sein will. Kraftvoll deshalb, weil er in Mathias Renneisen als junger Jim einen spielstarken Darsteller auf der Bühne hat. Und cool deshalb, weil sich die Inszenierung an Bildern bedient, die zur Ikonographie der US-amerikanischen (Pop)-Geschichte gehören: Lou Reed-Pose, Vietnamsoldateska mit Rambo-Attitüde, fiepende E-Gitarre als Rebellionsverstärker, der Maschendrahtzaun rund um den Basketballplatz, den Ausstatterin Susanne Wilczek neben ein paar Fixer-Matratzen auf die ansonsten elendig nackte Bühne platziert hat.
Schnitzer setzt aus Carrolls Tagebucheinträgen eine Geschichte zusammen, in der man sehen kann, wie ein Mensch allmählich zusammenbricht, sich vermittels regelmäßig eingenommener multitoxischer Substanzen seiner Entscheidungsfreiheit und schließlich sogar der Kontrolle über den eigenen Körper beraubt – und dabei trotz allem im Innersten souverän beobachtend und analysefähig bleibt. Ein Drogenbericht, der nicht mit Warnblinklicht daherkommt, sondern kühl über die Schadenslage referiert. Und deshalb um so härter die Härte der Drogensucht zeigt.
Die Regie liefert neben den Bildern auch Dynamik: Da wird viel Ballsport getrieben, denn neben all seinen anderen Talenten war Carroll auch noch ein begnadeter Basketballspieler (und Schnitzer einst Spieler in der Basketballbundesliga). Da kommt immer wieder die Elektrogitarre von Boris Stark zum Einsatz, denn Carroll war gefeierter Punkrocker. Und die Regie spaltet den Text auf in Passagen für einen älteren und einen jüngeren Jim, um ihn dialogisch zu machen, was deshalb so gut funktioniert, weil der ältere den Analysepart übernimmt und der jüngere die Zustandsbeschreibung.
Helmut Jakobi ist der ältere Jim und stellt zugleich Nebenfiguren wie einen Penner, den Vater und einen Priester dar. Das eigentliche Zentrum und eine schauspielerische Wucht aber ist Mathias Renneisen als junger Jim: Er lässt mit großer Intensität die Veränderung vom jungen, kraftstrotzenden Mann zum Drogenkranken durch seinen Körper gehen. Wie er den Horror des Entzugs zeigt und zugleich ironisiert, um nicht in plattem Naturalismus zu landen, ist schlicht großartig. Das Leiden im Cold Turkey wird mit Truthahnrufen untermalt. Zeigen statt belehren: In der Coburger Reithalle funktioniert das wunderbar.