Foto: Roland Schimmelpfennigs "Alice im Wunderland" am Theater Konstanz. Jana A. Rödiger und die Zwillinge Elisabeth und Olga Doering © Bjørn Jansen
Text:Elisabeth Maier, am 2. Dezember 2013
Die abenteuerliche Reise der kleinen Alice in ein geheimnisvolles Reich hinter den Spiegeln ist faszinierend wie eh und je. Lewis Carrolls Hommage an die Sinnlosigkeit, mit der er sich und seine kindliche Heldin aus dem geistigen Gefängnis des viktorianischen Zeitalters befreite, hat Roland Schimmelpfennig zu einer Theaterfassung inspiriert. Seit ihrer Uraufführung in Hannover 2003 ist die Version eines der prägenden Dramatiker seiner Generation oft gespielt worden. Am Stadttheater Konstanz hat der Berliner Regisseur Jan Langenheim das spielerische Libretto inszeniert und mit dem Autor überarbeitet. Der amerikanische Jazzer und Musical-Dirigent Paul Amrod, der in Konstanz lebt, hat eine Musik komponiert, die zwischen Standard-Jazz und drögen Musical-Motiven driftet. Zauberhafte Sprachspiele, mit denen Schimmelpfennig virtuos jongliert, versanden in matschigem Musiktheater.
Das liegt nicht nur an den Schauspielern, die bei den Gesangspassagen streckenweise an Grenzen stoßen. Amrods allzu gefällige Partitur erinnert eher an Broadway-Musicals von der Stange als an den anspruchsvollen Jazzrock, den man von ihm kennt. Gar zu verhalten begleiten er und seine Musiker den Abend.
Langenheims Regie klammert sich so krampfhaft an Carrolls aberwitzigen Bildern fest, dass dessen Sprache der Träume, die Schimmelpfennig meisterhaft in eine heutige Sprache übersetzt, glatt untergeht.
Jana Alexia Rödiger als Alice, deren große Stärke gerade in schwer durchschaubaren Rollen liegt, steht in dem stark auf Effekte ausgelegten Regiekonzept oft abseits im Raum. Nur bedingt wird da die verzweifelte Suche des Mädchens nach seiner Identität deutlich. Sehr klassisch auch Anja Jungheinrichs Bühne mit Schachbrett und Spiegelwänden. Die Möglichkeiten, die der Raum eröffnet, schöpfen Langenheim und sein Regieteam zu wenig aus. Schön anzusehen sind Svenja Gassens Kostüme: das schrille Spiegelkostüm des Hutmachers oder die Puppe der Raupe aus schlichtem Stoff.
Welches sprachliche und komische Potenzial Schimmelpfennigs Text hätte, lassen die Schauspieler erahnen. Allen voran Jana Alexia Rödiger mit Max Hemmersdorfer als verwandlungswilliger Raupe. Großartig wirbeln die zwei Sätze durcheinander, wenn sie den „Erlkönig“ neu interpretieren: „Wer bröselt so spät durch die Nacht und hat Durst? Es ist das Brötchen mit seiner Wurst.“ Ralf Beckord als verrückter Hutmacher verbreitet eisige Angst, während Thomas Ecke als Grinsekatze eher farblos bleibt.
Diese Ansätze, die eine psychologische Lesart von Carrolls Text erschließen könnten, werden am Ende in der zu lang geratenen Hummer-Quadrille totgekocht. Zwar sorgt Odo Jergitsch als Hummer und pfefferstreuender Kochtyrann für herrlich komische Momente, aber in die Tiefe geht er nie. Das gilt ebenso für Laura Lippmanns weißes Kaninchen, das sich in der Teestunde verheddert. Und auch Axel Julius Fündeling als einsamer Angeber Humpty Dumpty bleibt im Klischee stecken. Weiter geht da Friederike Pöschel in der Doppelrolle als große Schwester und schwarze Königin. Die Grausamkeit, die hinter der Fassade des Machtmenschen ihre Zähne fletscht, zeigt sie überzeugend, wenngleich etwas überdreht. Ihr Ansatz hält dem Publikum den literarischen Spiegel des Unterbewusstseins vor, der Lewis Carroll im 19. Jahrhundert ebenso faszinierte wie den Gegenwartsdramatiker Schimmelpfennig.