Foto: Große Gesten von begrenzter Wirkung: Giselda (Elsa van den Heever) hält die Bibel so hoch, dass selbst der weiße Eremit Pagano (John Relyea, links) nur staunen kann. Szene aus David Aldens Inszenierung von Verdis "I Lombardi" an der Hamburgischen Staatsoper. © Bernd Uhlig
Text:Detlef Brandenburg, am 11. November 2013
Wenn man jetzt, nachdem die Operntrilogie Verdi im Visier an der Hamburgischen Staatsoper mit der Premiere von „I Lombardi alla prima Crociata“ ihren Abschluss gefunden hat, fragt, was an diesem ambitionierten Unternehmen besonders bemerkenswert war, schießt einem unversehens ein ketzerischer Gedanke in den Kopf: Es ist schon erstaunlich, wie wenig Regiekunst es braucht, um mit Verdis frühen Werken Eindruck zu schinden. Wir verdanken diese Erkenntnis dem Regisseur David Alden, der die Trilogie mit „La battaglia die Legnano“ zwar nicht radikal tiefschürfend, aber auf durchaus eindrucksvolle Weise werkdienlich begonnen hatte, der aber bereits „I due Foscari“ (Genaueres dazu hier) durch seine kreuzkonventionelle Personenführung musealisiert hatte, und der nun „I Lombardi“ auf teils geradezu erheiternde Weise in der Opernfundus-Beliebigkeit versenkt hat. Ein paar ganz Feinsinnige wollten darin eine „Ironisierung“ dieser wilden Kreuzfahrergeschichte sehen. Aber das hieße wohl doch, der Lustlosigkeit ein bisschen viel Ehre anzutun.
Dass diese drei Opernabende, um die herum die Staatsoper bemerkenswerte Begleitveranstaltungen gruppiert hatte, dennoch bleibende Eindrücke hinterlassen, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen die durchaus überraschende Erkenntnis, dass schon der junge Verdi entgegen aller Opernführer-Naseweisheit ein grandioser Musikdramatiker gewesen ist. Hatte das Schlachtengemälde von Legnano bei der ersten Premiere noch arg vaterländisch gescheppert, so war man schon bei „I due Foscari“ (in der Verdi-Literatur immer wieder als spannungsarm beleumundet) geradezu elektrisiert gewewsen von den hochdramatischen Konfliktkonstellationen, die in grandiosen Ensembles ausagiert und -musiziert werden. Die direkt nach „Nabucco“ entstandenen „Lombardi“ schließlich, früheste der drei frühen Opern, entpuppten sich jetzt als Extremwerk von fragmentarisch zerrissener Handlungsdramaturgie. Die allerdings wird so spannungsvoll überwölbt von grandiosen Ensembles einerseits und einem ambitionierten moralphilosophischen Diskurs über die Illegitimität von Gewalt im Namen Gottes, der Rache oder der Politik andererseits, dass sich die Dringlichkeit des Werks sogar durch Aldens Beliebigkeits-Regie hindurch vermittelt.
Der zweite Grund, warum man diese frühe Verdi-Trilogie in guter Erinnerung behalten wird, sind die Dirigate der Hamburger Generalmusikdirektorin Simone Young und die ausgezeichneten Leistungen von Chor und Orchester. Die Dirigentin, die die Staatsoper Ende kommender Saison verlässt, war in Hamburg zuletzt sehr unhanseatischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Auch bei der „Battaglia“-Premiere war sie schon vor Erklingen des ersten Tons vom Rang aus in unflätigster Weise angepöbelt worden. Ihr vitales, facettenreiches und einfühlsames „Lombardi“-Dirigat kann durchaus als Beleg dafür dienen, wie einseitig sie von einigen Interessengruppen in Hamburg wahrgenommen wird. Verdis Musik ist hier extrem vielgestaltig, formal überrumpelnd und darin manchmal fast atemberaubend modern. Young gelingt hier das durchaus anspruchsvolle Unterfangen, all diesen Formen- und Ausdrucksreichtum zwischen Krieg und Friedensvision, Lyrik und Dramatik, Choral und Orchester-Battaglia, Einkehr und Ausbruch wunderbar zum Blühen zu bringen, ohne dass ihr die Vielfalt auch nur einmal ins Zusammenhanglose entglitten wäre. Eine große Leistung!
Das gilt ohne Einschränkung auch für den von Eberhard Friedrich einstudierten Chor, der hier nahezu der wichtigste Protagonist ist und dieser Rolle musikalisch vollkommen gerecht wird. Bei den Solisten war die Sache wie auch bei den vorigen Produktionen die, dass die Hamburgische Staatsoper offenbar keinen gesteigerten Wert auf fachgerechte Besetzung legt (was bei diesen Opern allerdings, zugegeben, schwierig ist), dass die Sänger ihre Sache aber gleichwohl gut machen. Elza van den Heevers Sopran ist für die Giselda eigentlich zu lyrisch und auch ein bisschen zu schwer. Dieses tapfere, friedensbewegte Mädchen ist von der Partie her fast so etwas wie das ins Lichte und Liebenswerte gekehrte Gegenbild der Lady Macbeth, eine heikel zwischen Lyrik, Dramatik und Koloratur angesiedelte Partie von enormem interpretatorischem Anspruch. Diesen letzteren erfüllt van den Heevers immerhin insoweit, als sie die Giselda zum ebenso präsenten wie profilierten musikalischen Charakter formt.
Ähnlich John Relyea in der Rolle des zwischen Brudermörder-Bosheit und frommer Buße geradezu schizophren gespaltenen Pagano. Er begann bei der Premiere mit sehr belegtem Piano, entfaltete seine Figur aber in bassiger Fülle und markanter Attacke zunehmend eindrucksvoller. Dimitri Pittas gibt als Oronte einen leidenschaftlichen Geliebten der Giselda mit stabilem Feuertenor, Massimiliano Pisapias Arvino ist ein Kreuzfahrer-Führer mit herbem Timbre und holziger Geradlinigkeit, die übrigen Solisten des ziemlich großen Ensembles singen teils ordentlich, teils aber durchaus auch nicht. Dass man mit der tadellosen Besetzung solcher Mittelpartien punkten kann, hat sich in Hamburg offenbar noch nicht herumgesprochen.
Aldens Regie lohnt eigentlich noch nicht einmal das Lästern. Wieder wandelt er Charles Edwards‘ Bühnenbild, das alle drei Produktionen durchaus eindrucksvoll prägt, zweckdienlich ab, nur der Chor darf diesmal seine Empore verlassen, dies allerdings vor allem, um zu demonstrieren, dass weder Alden noch seine Choreographin Maxine Braham willens oder fähig sind, große Chorszenen spannungsvoll zu gestalten. Jenseits von schwertfuchtelnder Kriegerei, sichelmundwinkliger Verderbtheit, rauschebärtigem Eremitentum und der kunstgewerblichen Haremsexotik ist es geradezu ernüchternd, wie gezielt Alden an allen Sinnangeboten dieser Partitur vorbei inszeniert. Da gibt es im dritten Akt eine ganz erstaunliche Szene, in der eine konzertierende Solovioline in einem Orchestervorspiel die musikalische Führung übernimmt und dann ein Bekehrungsterzett der beiden Liebenden Oronte und Giselda nebst taufendem Eremiten Pagano geradezu überirdisch umflort. Hier öffnet Verdi rein musikalisch eine transzendente Dimension von Frieden und Vergebung, die von da an wie ein dialektischer Widerspruch über der dröhnenden Kriegerherrlichkeit der Kreuzfahrer liegt. Was aber macht Alden daraus? Er inszeniert Konradin Seitzer, den wirklich hinreißend spielenden und auf der Bühne agierenden 1. Konzertmeister der Hamburger Philharmoniker, als schnurrbärtigen Kaffeehausgeiger im Frack, und nach dieser Szene taucht Giselda, von Verdi als visionärer Friedensengel überhöht, in Knobelbechern und Soldatenmantel inmitten der Kämpen wieder auf (Kostüme: Brigitte Reiffenstuel), als sei nie etwas gewesen.
So bleibt als verdienstvolles Resümee des Verdi im Visier-Unternehmens der Hamburgischen Staatsoper, dass man „I due Foscari“ und „I Lombardi “ unbedingt wiedersehen möchte. Aber dann in Inszenierungen, die diese Werke auf Augenhöhe annehmen, statt sie als „Kreuzritter-Bullshit“ (David Alden in einem Interview über „I Lombardi“) zu verhökern.