Foto: "The Pin", die neue Choreografie von Samir Akika am Theater Bremen. Gabrio Gabrielli, Pin-Chieh Chen, Antonio Stella © Jörg Landsberg
Text:Jens Fischer, am 8. November 2013
Die Partys sind vorbei. Bunt, schnell, komisch, kraftvoll war die Collage-Ästhetik, mit der Samir Akikas Compagnie Unusual Symptoms ans Theater Bremen kam und ihrem Alltag abgeschaute Geschichten, Überlebensstrategien, allegorische Filmaufnahmen, Live-Musik und Graffiti-Kunst zu Porträtskizzen von Erwachsenwerdern vermengte. Dann noch schnell das klassischste aller Ballettthemen performt: mit altbekanntem Furor, aber ganz ohne neue Erkenntnisse zeigte „Penguins & Pandas“ kürzlich den ewig gleichen Kreislauf in Sachen Paarbildung. Gieriges Aufeinanderzu, lustvoll zufriedenes Miteinander, gelangweiltes Nebeneinanderher, empörtes Voneinanderweg, neu gieriges Aufeinanderzu. Lakonisch ironisiert, surreal überdreht und mit den Zaubermitteln der Bühnentechnik garniert. Schluss, aus und vorbei mit diesem Feiern. Der Tanz könnte neu beginnen. Künstlerische Umorientierung mit der Uraufführung von „The Pin“. Und damit wir ihr, intellektuell beschützt, folgen können, notiert der für die Statik des Abends verantwortliche Dramaturg auf den Programmzettel die Konstruktion des Überbaus. Es gehe um die Frage, was der Mensch „auf sich nimmt im Streben nach vollkommener Könnerschaft, was er verliert und wen er verletzt bei dem Versuch, den Sekundenbruchteilen seines Lebens über die Entwicklung seiner Fähigkeiten, über das Schaffen eines Rekordes oder Meisterwerkes ein Stückchen Ewigkeit abzuringen.“
Erstmal wird verkündet, was er verlieren kann: sein Leben. Vom tödlichen Unfall des dreimaligen Formel-1-Weltmeisters Ayrton Senna ist die Rede. Getanzt wird das Gegenteil: jemanden sanft in den eigenen Bewegungskanon aufnehmen. Ihn erst als Puppe herumwirbeln, dann zum Tanzpartner machen. Solche Paare vereinen sich zum Ringelreigen. Während eine Kollegin ihren einsamen Slapstickkampf mit einer Luftballon-Kette aufführt, die sie einfach nicht dem Himmel (ihrer Wünsche) entgegenschweben lässt. Das Streben nach tollstem Erfolg und größtem Gelingen – ist ein sportliches. Also zeigt das Ensemble Kraft-, Ausdauer-, Tanztraining, Gymnastik- und Kampfsportübungen, Parkour-Kühnheiten, militärisches Herumrobben, Balgereien, Ballspielpantomimen. Mit Flutlichtmasten in der Hand wird gegenseitig das athletische Treiben ausgeleuchtet und immer mal Formel-1-Lärm dazugeblendet, damit die Gefahren nicht aus den Ohren verloren werden. Dem assoziativen Bilderreigen ständigen Aufbäumens und Zusammensinkens folgen Tänzer, die ihre Ikonen, körpersprachliche Mythen des modernen Tanztheaters, zitieren: von Vaslav Nijinsky, Kurt Joos, Pina Bausch, Alain Platel bis Meg Stuart. Zusammenfassend schreibt jemand an eine Leinwand: „Have no fear of perfection, you’ll never reach it!“ Ein leerer, goldener Bilderrahmen wird aufgehängt. Ja, der Abend ist durchaus auch als Appell zu verstehen: Mach dein Ding.
Ein Videofilm illustriert die Patchwork-Choreografie. Der titelgebende Pin ist dort zu sehen, der Flaggenstock der Fahne, die in einem Golfloch steckt: Symbol für das Ziel, den Triumph, die Meisterschaft. Obwohl er nur eine Markierung ist. Man soll ja ins Loch, nicht den Golf-Pin treffen. Dafür drohen sogar Strafschläge. Egal. Der Pin wird erstmal als Sehnsuchtsort ausgeleuchtet, dann mit Dreck beworfen (kritisiert), bedrohlich in Gewitter-Design gehüllt, weggenebelt, mit Sand verwüstet – alles am Bühnenrand auf einem Miniaturfilmset live inszeniert. Wenn sich nebenan endlich Tänzer in Siegerpose werfen, in Ovationen baden, verschwindet das Pin-Bild von der Leinwand. Auf die Bühne zurück kehrt die Frau mit der Luftballon-Kette, diese arrangiert sie wie eine Kissenlandschaft auf dem Boden, kuschelt sich hinein, das Ensemble kuschelt mit und lässt die Traumballons platzen. Heißa, das knallt wie ein Feuerwerk. Gefeiert wird das Ende des mürrischen Unwohlseins an der zwanghaften Leidenschaft zur Perfektion – und des Unwillens, weiterzumachen wie bisher. Nun könnte es losgehen mit dem Tanz. Aber es ist Schluss. Und man erinnert sich an nur wenige Momente der Aufführung, die nach Neuanfang lechzten: Aus der Probenarbeit scheinbar ungefiltert übernommene Versuche, einfach mal allen Überbau wegzuschieben, loszulassen, draufloszutanzen, mal gucken was passiert … auf der Suche sein. Gespannt darf man auf die ersten Ergebnisse, Samir Akikas nächste Uraufführung sein.