Foto: Volker Löschs Inszenierung von Giuseppe Verdis "Macbeth" am Theater Magdeburg. Opern- und Sprechchor © Nilz Böhme
Text:Wolfgang Behrens, am 4. November 2013
Wäre der Regisseur Volker Lösch ein Bildhauer, so wäre ihm wohl der Meißel ein zu feines Werkzeug. Eher muss man sich ihn – beim Versuch, dem Stein seine Botschaft zu entringen – mit Vorschlaghammer und Sprengstoff bewehrt vorstellen. Nur das Gröbste scheint Lösch hinreichend, um seinem Furor, seiner Wut auf die Verhältnisse, Ausdruck zu verleihen: Wo das mediale Sperrfeuer uns Dauerberieselte längst in eine Art politische Schockstarre versetzt hat, kommt Lösch – in der erklärten Absicht, uns wachzuprügeln – mit der Keule.
Nach einer Vielzahl Aufsehen erregender Schauspielarbeiten, hat Lösch seine Grobkunst nun erstmals am Theater Magdeburg in der Opernsparte erprobt: Als Objekt diente ihm im Verdi-Jahr ein Schmerzenskind des Meisters: der 20 Jahre nach seiner Uraufführung vom Komponisten noch einmal grundlegend umgearbeitete „Macbeth“. Und natürlich lässt sich Lösch wieder keinen noch so plakativen Fingerzeig entgehen: Die Herrscher und Krieger sind Popanze in lächerlich bunten Militäruniformen und Kampfanzügen mit Spielzeug-MGs, holzschnittartig und ohne Interesse an jeglicher Psychologie geführt (dazu passend der voluminöse, aber auch etwas gleichförmig verströmte Wohlklang von Adam Kim in der Titelrolle).
Zu den im leeren Bühnenraum tableauhaft arrangierten Szenen werden rückwärtig große Videozuspielungen projiziert, und auch diese geizen nicht mit den Assoziationen der ganz großen (bzw. der ganz platten?) Münze: Bilder von der Ermordung John F. Kennedys, vom 11. September, von Barschel in der Badewanne und Weltkriegstoten in der Normandie flimmern vorbei; wenn die (von Karen Leiber mit ungeheurer Power, toller Beweglichkeit und beeindruckend gerolltem R gesungene) Lady Macbeth in ihrer Schlafwandel-Szene Menschenblut zu riechen vermeint, gleitet ein unendlich langer Güterzug vorüber, dessen furchtbare Fracht der Zuschauer ahnt; und wenn der Schlusschor nach dem Tod Macbeths dem neuen Herrscher huldigt, sieht man die jeder Menschlichkeit Hohn sprechenden „Segnungen“ der landwirtschaftlichen Massenproduktion. Macht beruht auf Verbrechen, und Krieg ist Verbrechen – so lauten die simplen Gleichungen dieser Bilder.
Auch der eigentliche Coup der Inszenierung folgt einem eher kurzschlüssigen Gedanken: Lösch begreift den „Macbeth“-Kosmos als eine von männlicher Aggression und Herrschsucht durchdrungene Welt und zeigt nun in zwischen die Szenen geschalteten (von Bernd Freytag gewohnt impulsstark einstudierten) Sprechchören 15 Magdeburger Frauen – die Magdeburger „Hexen“ –, die persönliche Erfahrungen mit patriarchalischer oder sexistischer Gewalt in skandierendem Anklageton zu Gehör bringen. Das schürft, was die „Macbeth“-Deutung betrifft, nicht eben tief; es ermöglich immerhin die (vielleicht etwas schmale) Pointe, dass Lady Macbeth bei Lösch ein Teil dieses Hexenchores ist und sich in gleichsam demaskierender Absicht die männlichen Destruktionsstrategien im Übermaß zueigen macht.
Doch es gibt ein großes Aber! Es mag hier – wenn man von der musikalischen Seite absieht, die bei GMD Kimbo Ishii-Ito in zupackendsten Händen lag – nicht gerade eine aufschließende Verdi-Interpretation gelungen sein. ABER …! Aber Löschs Brachialmethoden vermögen eben doch aufzurütteln: Verdis Musik nämlich stellt die so oft gesehenen und daher stumpf gewordenen Medienbilder in einen neuen Kontext und bricht sie gewissermaßen auf. Nicht die Bilder illustrieren also Verdis Oper, vielmehr macht die Musik die Bilder auf neue Weise sichtbar und gibt ihnen etwas von ihrer aufstachelnden Wucht zurück. Ganz ähnlich wirken die Sprechchöre der Magdeburger Frauen: Das überindividuelle Sprechen und die im artifiziellen Opernumfeld so fremdartige Position verleihen den Texten eine gesteigerte Dringlichkeit. Folgerichtig macht sich auch im Premierenpublikum Nervosität breit, als plötzlich massiv politische Aussagen ins Parkett gellen: „Ich find’s dann umso schlimmer, wenn der Ministerpräsident Haseloff sich hinstellt und ne Regierungserklärung hält und sagt, Frauenförderung sei für ihn Chefsache.“ Applaus und Buhrufe auf offener Szene.
Löschs Hammer trifft eben doch. Vielleicht kann man ihm vorwerfen, dass er Verdis Oper für seine Botschaften missbraucht. Im Grunde aber gebraucht er nur hier wie sonst das Theater, um die Zuschauer am Schlafittchen zu packen und sie zu emotionalisieren. „Ich lass mich nicht mehr demütigen!“ rufen die Magdeburger „Hexen“ als letzten Satz des Abends. Es ist diese Haltung, die Lösch beim Zuschauer provozieren will – und sei es mit dem gröbsten Keil.