Foto: Das Laban-Tanz-Projekt "Loops and Lines" von Stephan Thoss mit dem Ensemble Modern am Hessischen Staatstheater Wiesbaden © Lena Obst
Text:Ekaterina Kel, am 28. Oktober 2013
Eine blickdichte Plane verhängt diagonal die Bühne, bildet eine strenge Linie und bestimmt geometrisch die Bewegungen der Tänzer, die sich am unteren Rand in kreisartigen Bewegungen winden und schlängeln – das Laban-Tanz-Projekt von Stephan Thoss „Loops and Lines“, das nun am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt wurde, nimmt sich zunächst tatsächlich die Vokabeln der Geometrie vor und lässt die tanzenden Körper nach den Bewegungsmöglichkeiten innerhalb dieser fast schon Score-ähnlichen Angaben forschen. Erfrischend klar und doch sehr raffiniert in der Umsetzung, einer übermächtigen Filmprojektion mit flatternden Herbstblättern in Zeitlupe zum Trotz, verspricht der Anfang des Abends leider etwas, was er zum Ende nicht ganz halten kann.
Beinahe möchte man es Minimalismus nennen – so klar und pur scheinen die choreographierten Körper sich durch den Raum zu bewegen. Das Eröffnungsstück „China Gates“ von John Adams (Klavier: Ueli Wiget) versetzt den Saal des Großen Hauses durch seine ruhigen, aber präzise gesetzten Töne in einen wohligen Zustand des Lauschens. Im nächsten Adams-Stück „Shaker Loops“ erfährt die Konzentration der Töne und Laban-Bewegungen in einer Symbiose ihren Höhepunkt. Die Bühne öffnet sich dabei zu einer klar arrangierten Szene: Diagonal aufgereiht bestimmen Musikerinnen des Ensemble Modern den Bühnenraum, um ihn später durch die Tänzer bewegt wiederum neu zu definieren. Vorne geben die Mitglieder des Ballett-Ensembles entweder einzeln, paarweise oder in Gruppen ihre eigenen stillen Impressionen des Laban-Tanzes aus Windungen, Kurven und Schleifen im ständigen Wandel.
Zwar wird der Impuls der Bewegung nicht immer ersichtlich, wie ihn sich Rudolf von Laban in seiner Labanotation Anfang des 20. Jahrhunderts vielleicht vorstellte, jedoch liegt hier ganz klar die Motivation bei der Erforschung der körperlichen Bewegungsmuster und –möglichkeiten. Außerhalb der Dynamik aus Musik, Tanz und als Bühnenbild drapierten weißen Regencapes (Bühne: Stephan Thoss und Jelena Miletic) scheint es erst einmal keine zusätzlichen Inhalte zu geben, was eine geballte Konzentration auf der Bühne entstehen lässt. Die Musik strukturiert ohnehin den gesamten Tanzabend: Konsequent entscheidet sich Thoss für eine Reihenfolge – Gates, Loops, Bridges, Lines.
Das Projekt als Collage aus Laban-inspirierter Choreographie und minimalistischer Musik, das anfangs noch angenehm zart und klar überzeugte, enttäuscht nach der Pause mit einem Überschuss an Bühnenmitteln. Das ratlos eingebaute Bläserquintett mündet im schnulzigen Ende mit willkürlich herumflatternden Papierfetzen und wischt die Anfangsästhetik der Produktion fast vollständig weg. Trotz der Nutzung der gesamten Bühnentiefe mit Großauftritt des grau-glänzenden Ensemble Modern verliert sich sowohl die Aufgeregtheit von Steve Reichs „Eight Lines“ als auch das vielversprechende Zusammenspiel der Tänzerinnen mit der Musik.
Die Verbindung der extravaganten Bewegungslehre Labans mit den leicht-tänzelnden Tönen von Adams und Reich birgt ein Risiko: Wer nicht auf die Wirkung des Tanzes und der Töne selbst vertraut, geht auf Nummer sicher und fügt zusätzlich eine Interpretationsebene ein, die sonst auch das Publikum selbst hervorragend übernehmen könnte. So endete die Premiere mit begeistertem Jubel, dem es allerdings nicht ganz gelang, vereinzelte, enttäuschte Buhrufe zu übertönen.