Foto: "Insight" am Theater Heidelberg. © Florian Merdes
Text:Eckehard Uhlig, am 22. Oktober 2013
Heidelberg. Eine nachtdunkle, leere Werkstattbühne mit matt im Beleuchtungswiderschein glän-zender Tanzfläche und einer Spiegel-Bühnenrückwand, die alle Blicke zurückwirft, empfängt die Besucher des Heidelberger Theaters im „Zwinger“. Sphärisch verhallend die Geräuschkulisse, in der Elektrizität zischend zu verpuffen scheint. Dann dreht die Spiegelfläche zur Seite und gibt die Sicht frei auf acht Tänzer(innen) der „Dance Company Nanine Linning“, die in hygienisch weißen Anzügen, an Armen und Beinen mit Strich-Codes versehen, scheinbar androgyn genormt auftre-
ten.
Mit aufwändigem Bewegungsvokabular mühen sich die Akteure zum „energetischen Diktat der elektronischen Auftragskomposition Adam Sters“. Hinter oder neben besagter Spiegelwand, die gleichzeitig reflektiert und transparente Durchsicht ermöglicht und auch als beweglicher Raum-teiler fungiert (Bühne: Daniel Isern), sendet ein skurril zappelnder Einzeltänzer Impulse für die Gruppe aus, die sie aufnimmt, sich zu bodengymnastischen Übungen anschickt und dann wieder in Reih und Glied aufstellt und ausrichtet. Was sich nun eine Stunde lang als körpersprachlicher Text auf der Bühne in Sandra Maria Garcias und Zoran Markovics Choreographie „Insight“ ereignet, vermittelt spannungsgeladene Performance-Einsichten, die Fragen nach gesellschaftlicher Freiheit und Unfreiheit in unserem von Konformitätszwängen korrumpierten System stellen.
Wer sich hoffnungsvoll absetzt, wird in die Gruppengemeinschaft zurück geschleift, in der freilich während des ersten Tanzabend-Drittels keine körperlichen Berührungen stattfinden – ja, diese werden trotz deutlichem Begehren ängstlich krampfhaft vermieden. Die Bewegungs-Abläufe sind meist eckig ziellos verquer, erinnern zuweilen an mechanisch gesteuerte Puppen und in ihrer schweißtreibenden Verrenkungs-Bravour an spastische Verzückung. Bis eine Einzeltänzerin vor dem Spiegeln staunend erstarrt, sich dann aber aus- oder einladend wie eine Diskuswerferin bewegt. Unvermittelt gesellt sich ein männlicher Partner hinzu, und unter Donnergrollen finden beider Hände zueinander. Freilich kommt auch in dieser Szene keinerlei Verliebtheit auf, mögliche Emo-tionen bleiben von klinisch toter Kälte überzogen. Es scheint, als müsse sich das Paar gegenseitig zwanghaft verletzen.
Im zweiten Drittel des Tanzstücks steigern sich die Versuche der seelisch und körperlich Versehrten, menschliche Nähe zu finden. Es gibt sogar Ansätze für leidenschaftliche Pas de deux‘, vor allem aber von Ton-Salven rhythmisch unterlegtes, kämpferisches Gerangel um Rang- und Platzvorteile. Verschlungene Laokoon-Gruppen bilden sich, oder kreiselnde Kegel-Türme aus ängstlich aneinan-der gedrängten Körpern. Schließlich vermischen sich die Protagonisten, bewirkt durch raffinierte Spiegel-Reflexionen, mit dem Publikum. Alles mündet in fassadenhaft-harmonischen Schönklang ein. Abrupt bricht die Tanz-Aktion ab.
Im Epilog erwacht eine vor den Spiegeln liegende Tänzerin aus ihrem kafkaesken Alptraum. Die Realität, das Hier und Jetzt scheint Besitz von der gesamten Company zu ergreifen. Die enorme Spannung, die das tänzerisch umgesetzte Wortspiel „insight-inside“ entfaltet hatte, löst sich in jubelndem Beifall auf.