Foto: Der Lärmkrieg (UA) am Schauspiel Leipzig. Dorothea Arnold, Tilo Krügel © Rolf Arnold
Text:Michael Chlebusch, am 7. Oktober 2013
„Lärm und Dreck, die Landebahn muss weg!“, skandiert die Aktivistin gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Es ist wohl nicht zu viel des Endes verraten, zu sagen, dass die umstrittene Landebahn Nordwest auch am Ende von Kathrin Rögglas Stück „Der Lärmkrieg“ ebenso für den täglichen und nächtlichen Flugverkehr genutzt wird, wie zu Beginn. Die Uraufführung des Auftragswerks am Leipziger Schauspiel befasst sich weniger mit der Entwicklung des Flughafens als vielmehr mit den Menschen, die ihn umkreisen. Befürworter und Gegner, Bürger und Bonzen treten im Stück auf und nutzen den Flughafen gleichsam als Start- und Landebahn ihrer Zwecke, Befindlichkeiten und Bedürfnisse.
Im Mittelpunkt steht ein „moderner, kollektiver Michael Kohlhaas“, heißt es gleich zu Beginn des Stückes. Damit wirft es dramaturgische und moralische Erwartungen auf, die Rögglas Text und Dieter Boyers Inszenierung leider nicht erfüllen. Zu sehr bleibt der Stoff in seinen Quellen verhaftet. Das Auf- und Abtreten von Bürgern und Meinungsführern ist eine Collage von Fakten und Argumenten, die dem einigermaßen informierten Zuschauer so ähnlich, wahrscheinlich aber auch genau so schon einmal in der medialen Berichterstattung zum Thema begegnet sind. Da wirkt der Text stellenweise wie die Wiederholung eines ZDF-Talks, wie eine Pinnwand, über die ein roter Faden von A nach B nach C gespannt wurde, ohne das da gesammelte Material einer tiefer gehenden künstlerischen Bearbeitung zu unterziehen. Ob die Subtilität, mit der Röggla und Boyer die Entwicklung ihrer Charaktere – etwa von der idealistischen Agitatorin zur glattgebügelten Politikerin mit bundesweiten Ambitionen – vorantreiben künstlerischer Kniff oder Versäumnis sind, obliegt dem Urteil des Betrachters, der im Gewirr der Argumente ganz genau auf Untertöne achten muss. Doch dann wiederum zeigt die Inszenierung atmosphärisch dichte, durchaus surreale Momente, abseits von jenen Floskeln und Stereotypen, zu denen die Figuren, trotz oder gerade weil ihre Positionen aus dem bereits Jahre dauernden realen Streitverlauf gegriffen wurden, zuweilen verkommen. In diesen daraus ausbrechenden Sequenzen, wenn der Hausbesitzer den Manager wie ein Kleinkind füttert oder die Hausfrau mit dem Makler schläft, fragt sich der Zuschauer, wem er da eigentlich zuschaut. Wer denn da auf wen angewiesen ist. Und auf welche Seite der hier abgebildeten spießbürgerlichen Medaille er gerade blickt. Es beschleicht einen das Gefühl, dass es keine Folge des Lärms ist, wenn sich die Figuren im sehr ruhig inszenierten Stück nicht verstehen. Und im starken Finale sind wir deshalb dann doch wieder bei Kohlhaas. Da werden die Probleme nicht gelöst, sondern aus der Welt geschafft, da wird der Manager aufgeknüpft, die Politikerin weggesperrt und der Profiteur erschossen. Der Bürger tanzt derweil selig vor dem Zimmerspringbrunnen. Vom Flughafen ist endlich keine Rede mehr.