Foto: Giuseppe Verdis "Il trovatore" an der Bayerischen Staatsoper. Kwangchul Youn (Ferrando), Chor der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Text:Klaus Kalchschmid, am 3. Juli 2013
Es ist eine bizarr alptraumhafte Welt der Bergmänner, die Pierre-André Weitz für Olivier Pys tiefenpsychologische Deutung von Giuseppe Verdis „Trovatore“ zur Eröffnung der Opernfestspiele auf die (Dreh-)Bühne der Bayerischen Staatsoper gestellt hat: Hohe Gerüste links und rechts, verfremdete Waggons, darunter eine bizarre Lock, verkohlte oder mindestens blattlose Bäume und alles aus Metallic-Schwarz oder kaltem Silber. Immer neue Räume entstehen so für eine bekanntermaßen krude Geschichte: Da wurde einst eine Zigeunerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil der jüngere Sohn eines Grafen Luna in ihrer Nähe erkrankte; die Tochter musste dies mit ansehen und übte Rache, indem sie den Jungen in die Flammen warf. Doch sie verwechselt ihn im Rache-Wahn mit ihrem eigenen Sohn. Nun zieht Azucena diesen jungen Graf Luna als Manrico auf. Ohne um dessen Herkunft zu wissen, wird Manrico mit seinem älteren Bruder zum tödlichen Rivalen um die Gunst Leonoras, die Manrico liebt.
Statt der sonst bei Verdi so stringenten Handlungsführung folgt das Geschehen der (Un-)logik eines Alptraums, blitzen immer wieder in der Oper die Traumata von Feuer, Sexualität und Gewalt auf. Also zeigt Py allerlei Visionen, lässt das Ganze als Moritat und Theater auf dem Theater beginnen und führt gar in der Pause vor, wie Azucena ihren Sohn im bekannten Zaubertrick zerteilen lässt. Muskulöse, halbnackte gesichtslose Tänzer mit schwarzen Tiermasken kämpfen barfuß in Slow motion, die Sänger stützend oder führend. Geich zu Beginn und dann immer wieder irrt eine zottelige, alte nackte Frau als Geist der alten Zigeunerin über die Bühne. Aber auch für die irrwitzige Szene der Männer, die Ambosse traktieren und vom Zigeunermädchen schwärmen, das ihre Arbeit verschönt (großartig der Männerchor der Staatsoper!), findet Py ein tolles Bild, Begehren und männliche Gewalt furios verschmelzend: Da schlägt ein Einziger mit gewaltigen Hammern auf den Kopf der Lokomotive ein, während oben ein Mädchen wild tanzt, schließlich nackt ausgezogen wird und die Lok heruntergleitet.
Doch bei aller furchteinflößenden Qualität der düsteren Bilder Pys und seines Ausstatters, der auch die edlen, ausdrucksstarken, spanisch angehauchten Kostüme entworfen hat, überzeugte die musikalische Seite noch mehr. Das Staatsorchester spielt unter Paolo Carignani hoch inspiriert und klangschön, wunderbar ausbalanciert und bis in die kleinste Wendung hinein beseelt. Die weitgespannten Kantilenen schweben förmlich, Lautes ist immer weich gefedert.
Und da waren die berühmt-berüchtigten vier Weltklassesänger, ohne die ein „Trovatore“ nicht funktionieren könne: Elena Manistina als zugleich orgelnde und in der Höhe gefährlich scharf klingende Azucena mit großer Bühnenpräsenz und Alexey Markov als zunehmend ausdruckvoller und seine profunden baritonalen Mittel nicht nur ausstellender Graf Luna. Vor allem aber Anja Harteros und Jonas Kaufmann, das Traumpaar aus dem „Don Carlo“ in München (wieder bei den Opernfestspielen und bald in Salzburg). Anfangs stemmte Kaufmann seinen Manrico mit etwas zu viel Kraft, doch dann sang er sich frei und konnte seinen so unverwechselbar timbrierten, immer exquisit männlich klingenden Tenor weich und ausdrucksvoll modulieren. Anja Harteros konnte mit ihrem mittlerweile herrlich eingedunkelten, aber nach wie vor ungemein leuchtkräftigen Sopran alle Facetten dieser Partie musikalisch differenziert gestalten und auch spielen – bis hin zur letzten Arie, gesungen an der Hand eines Tänzers in schwarzer Ganzkörper-Strumpfmaske als Tod mit Gift in einem großen Weinglas, das er ihr kredenzt. Leonora stirbt im Delirium, die leisesten und anrührendsten Töne der Welt auf den Lippen, sich langsam in eine andere Welt drehend.