Foto: Albert Quesadas "Slow Sports" in Essen © Luc Depreitere
Text:Isabell Steinböck, am 24. Juni 2013
Eine Stimmung wie im Fußballstadion: Aus dem Off heizen Fans ihre Mannschaft an, im Rampenlicht jagen Tänzer mit großen Sprüngen über die Bühne – eine wild zusammengewürfelte Gruppe Sportler, die imaginäre Bälle kickt, mit den Köpfen ins Leere stößt oder virtuose Kettenreaktionen zeigt. Choreographisch ist dies einer der stärksten Momente in einer Performance, die die Ästhetik des Sports für die Bühne aufarbeitet. Eine kraftraubende, technisch anspruchsvolle Produktion, denn das meiste ist in Zeitlupe zu sehen, entsprechend dazu der Titel: „Slow Sports“.
Das Konzept dieser Performance stammt von Albert Quesada, einem jungen Choreographen, der im Rahmen des PACT Sommerfestes in Essen seine erste abendfüllende Arbeit vorstellte. Wie auch seine vier Mit-Tänzer stammt er aus der renommierten Tanzakademie von Anne Theresa de Keersmaeker, P.A.R.T.S., in Brüssel. Gemeinsam haben sie ein Stück kreiert, das den Profi-Sport, wie auch das Zuschauer-Erleben, von diversen Seiten spiegelt und mit Hilfe von Kameras, Mikrofonen und Bildschirmen medial vermittelt. Dass die Performance dabei selbst zum Spiel wird, wenn vor den Augen des Publikums groteske, neue Sportarten entstehen oder der sportliche Ernst immer wieder ironisch gebrochen wird, macht die Stärke dieser Produktion aus.
Nichtsdestoweniger geht es auch um den Druck des Einzelnen, sich vor einem Millionenpublikum beweisen zu müssen. Auf der dunklen Bühne werden Konzentration und Nervosität spürbar, wenn sich die Tänzer vor einem Sprint dehnen und dazu angestrengte Blicke oder tänzelnde Füße auf Monitoren in Großaufnahme erscheinen. Grotesk wirken dagegen die zur Fratze verzogenen Gesichter nach Anstrengung und Enttäuschung. Und herrlich übertrieben sind die Emotionen zu Beginn eines Fußballspiels, wenn das Ensemble in einer Reihe auf der Bühne steht und mit Pathos den großen Augenblick zelebriert, bevor es endlich losgeht.
Was in der einen Szene ästhetisch erscheint, wird in der nächsten zur Witznummer, als plötzlich ein überdimensional großer Ball auftaucht, den das Ensemble in schönster Harmonie dribbelt. Graziös wirken viele Szenen in Zeitlupe, in denen die Tänzer einander bewegen, in einem sportlichen Rundumschlag, von Hammerwurf (großartig: Marcus Baldemar), über Weitsprung, bis hin zum Fechten oder Schwimmen. Gegen Ende wird es gar interaktiv, wenn Federica Porello und Zoltàn Vakulya, auf dem Boden hockend, ein groteskes Tischtennismatch veranstalten und auf Zuruf des Publikums, ähnlich wie im TV, ausgewählte Momente wiederholen. Alles in allem eine ideenreiche, unterhaltsame, originelle Performance von großem künstlerischen Potential: Albert Quesada hat die Feuertaufe als Choreograph bestanden.