Foto: Alfred Kim, Elza van den Heever und Raymond Aceto in Verdis "Sizilianischer Vesper" an der Oper Frankfurt. © Thilo Beu
Text:Joachim Lange, am 17. Juni 2013
Im Jahr 2013 ist jede Verdi-Inszenierung ein Jubiläums-Beitrag zum 200. Geburtstag des großen Italieners. Die Oper Frankfurt hat sich dieser Herausforderung mit „Les vêspre siciliennes“ großformatig gestellt. Also mit einer von Verdis eher selten gespielten französischen Grand Opéras. Die natürlich auch im Paris des Jahres 1855 von ihrer italienischen Leidenschaft lebte. Für die sorgte in Frankfurt vor allem Pablo Heras-Casado am Pult des Opern- und Museumsorchesters. Der international gefragte, 35-jährige spanische Gastdirigent ließ im Graben mit Temperament und Übersicht das Freiheitspathos südländisch lodern. Und die Spannung knistern, die Verdi allemal bereithält, wenn sich die große Haupt- und Staatsaktion in der persönlichen Tragik seiner Helden widerspiegelt. Dafür steht mit dem kraftvoll strahlenden Tenor Alfred Kim als Henri und der längst zur Sopranzierde des Frankfurter Ensembles avancierten Elza van den Heever als Hélène ein vokal und darstellerisches Verdi-Paar vom Feinsten zur Verfügung.
„Die Sizilianische Vesper“, wie der Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer aus dem Jahre 1282 genannt wird, war natürlich auch für Verdi und Eugène Scribe in den Zeiten des italienischen Risorgimento nur ein historischer Anlass, um Zeitgenössisches zu verhandeln. Ausstatter Mathis Neidhardt vermeidet mit seinem Großstadt-Ambiente jede Historienfolklore. Auf der Drehbühne genügen ein Hochhauswürfel mit zwei Peitschenleuchten davor und ein modernes Atrium dahinter. Auch die Kostüme spielen auf die Zeit des RAF-Terrors an, ohne allzu platt zu zitieren. Regisseur Jens Daniel Herzog geht vor allem der Frage nach, wo berechtigter Widerstand die Grenze zum Terror überschreitet, und so selbst zum Unrecht wird.
Es beginnt mit einem Mord auf offener, nächtlicher Straße. Mit den schüchtern platzierten Zeichen von Trauer für den Ermordeten, beginnt sich dann der Widerstand gegen Unterdrücker-Arroganz zu formieren, den entschlossene Ideologen zum offenen Krieg forcieren wollen. Als Henri den obersten Besatzer-Finsterling (der hier dem Klischee eines Wirtschaftsbosses entspricht) ins Jenseits befördern soll, stellt sich heraus, dass ausgerechnet der sein Vater ist. Das ist ein Argument für das Zurückschrecken vorm Tyrannenmord, das dann selbst Hélène (die Schwester des Ermordeten vom Anfang, der gerächt werden soll) akzeptiert. Obwohl er damit seine Gesinnungsgenossen praktisch ans Messer liefert. Als dann für einen Moment die Utopie aufscheint, weil der Gouverneur (als Vater auf Bitte seines Sohnes) die Hinrichtungen absagt und stattdessen die Hochzeit der sizilianischen Herzogin mit dem spät gefundenen, offiziell anerkannten Sohn ansetzt, ist längst klar, dass das nicht gut gehen kann.
Die Arroganz der Mächtigen ist nur mühsam zurückgedrängt. Auch das offene Bekenntnis des Sohnes zum verhassten Vater wurde von dem eiskalt erzwungen, was selbst diese eine echte Gefühlsregung desavouiert. Quinn Kelsey hat tatsächlich das stimmliche und darstellerische Format diesen Widerspruch glaubhaft gegen die für einen Bösewicht eigentlich viel zu schöne melodische Ausstattung seiner Partie zu behaupten. Wirklich überlegen ist die Gegenseite aber auch nicht. Wenn Raymond Aceto als Ideologe des Widerstandes Jean Procida immer wieder mit großem Pathos von Freiheit und Tod redet, dann hat man schnell den Verdacht, dass es ihm noch mehr um seinen eigenen Heldenruhm, als um die Freiheit und den Frieden für sein Volk geht.
Es kommt, wie es kommen muss: Wenn schließlich die Genickschüsse (so wie heute noch in Weißrussland exekutiert wird) der Aufständischen das Leben des Brautpaares und die Oper beenden, bleibt die Erkenntnis im Raum, dass sich wenig geändert hat, wenn Hass und Rache den Gefühlshaushalt von Völkern oder Gruppen bestimmen. In Frankfurt ist ein vokal vorzüglich ausgestatteter Opernthriller Verdis zu besichtigen, der aktueller ist, als einem lieb sein kann. Viel Jubel zwischendurch und dann am Ende.