Foto: Nina Hoss und Felix Göser in der "Hedda Gabler"-Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin, das bei den Ruhrfestspielen Premiere hatte. © Arno Declair
Text:Detlev Baur, am 3. Mai 2013
Ibsens Hedda Gabler ist ein herzloser Vamp, eine verhinderte Künstlerin, eine Powerfrau ohne Vision, eine einsame Romantikerin und vieles mehr. Auf jeden Fall ist diese (Anti-)Heldin des gleichnamigen Dramas eine gewagte und faszinierende Konstruktion – und mit ihr das gesamte Stück. Denn allein um Hedda Gablers Seelenleben herum ist das Stück gebaut. Alle Figuren, also der langweilige Ehemann, der genialisch gefährdete Verehrer Lövborg, der kalte Möchtegern-Geliebte Brack und die intellektuell unterlegene Gegenspielerin Elvsted sowie das altmodische Tantchen des Gatten dienen der enthüllenden Entwicklung von Heddas Innerstem.
Und tatsächlich gelingt es Nina Hoss und ihren starken Mitspielern in der DT-Inszenierung, die bei den Ruhrfestspielen Premiere hatte, die konstruierte Figur anschaulich und lebendig zu gestalten. Dabei geht das Ensemble in Stefan Puchers Regie nicht den direkten Weg des Psychodramas, sondern verdeutlicht vielmehr das Konstruierte, um Aspekte der Figur und ihres Umfelds zu betonen und in ein komplexes Gesamtbild zu bannen. Barbara Ehnes‘ Drehbühne präsentiert zu Anfang und zu Heddas finalem Selbstmord einen nordischen Blockhüttenraum, im dem Margit Bendokats betulich auftretendes Tantchen und der ungelenke Jungvermählte mit Vollbart (Felix Goeser) ein nordisches Boulevardstückchen zeigen. Das ist jedoch ebenso nur eine Momentaufnahme wie Heddas Kleid in der Szene: etwas zwischen Engelsflügelchen und überdimensionierten Muskeln ziert ihre Oberarme (Kostüme: Annabelle Witt). Schon der nächste Raum präsentiert unter Jazz-Klängen eine ganz anders gewandete Hedda in einem Retro-Raum unter der Fotoprojektion einer Hoss-Hedda als Lulu-Diva. Und weiter geht es in einen 60er Jahre Raum voll futuristischer Wandlampen und schließlich in einen Musikstudio-Salon. Aus dem Foto werden dann Filmszenen: versetzte Dialogteile besonders intimer Gespräche und nach dem Auftritt des gefährdet-einsamen Wolfs Eilert Lövborg (Alexander Khuon) spiegeln Western-Filmszenen zunächst die Machowelt des verhängnisvollen Männerabends, den Hedda von ferne dirigieren wollte, und zeigen schließlich eine schießwütige Hedda selbst im Westernstädtchen (Video: Meike Dresenkamp). Außerdem bringen Nina Hoss, Anita Vulesica (Frau Elvstedt) und das Dienstmädchen (Naemi Simon) im Gesamtseelenkunstwerk durch melancholische Rockballaden starke Gefühle zum Ausdruck.
So gerät diese „Hedda Gabler“ nicht nur sehr unterhaltsam, sondern auch bemerkenswert komplex. Nina Hoss ist als Hedda genauso ein armes kleines Kind wie ein gefährliches blondes Gift, eine frustrierte Durchschnittsfrau wie eine überbegabte Ausgestoßene. Wie hier alles zusammenpasst und schlüssig wirkt, ohne diesen gefährlichen Menschen zu verurteilen oder zu verdammen – das ist schon ein starkes Stück.