Foto: Die deutsche Erstaufführung "Anna Nicole" am Theater Dortmund © Thomas M. Jauk / stage picture
Text:Marieluise Jeitschko, am 29. April 2013
Ein bisschen Violetta Valéry, ein bisschen Marilyn Monroe und ganz viel Anna Nicole. Das (künstlich aufgeblasene) Busenwunder, Playmate, Dessous-Model und Reality TV-Sternchen träumte den amerikanischen Traum. Der endete als Alptraum mit ihrem Tod als 39-Jährige. 1967 in ärmlichsten Verhältnissen in Texas geboren, heiratete der Teenager einen Brathähnchen-Verkäufer und nach einer zweiten gescheiterten Ehe einen altersgeilen, milliardenschweren Greis. Drogenabhängig starb sie an einer Überdosis von Medikamenten auf den Bahamas.
Fünf Jahre nach dem tragischen Ende der schillernden Karriere der Vickie Lynn Hogan, so Anna Nicoles richtiger Name, kommt sie zu neuen Ehren. Englands populärster lebender Komponist, Mark-Anthony Turnage, widmet ihr seine dritte Oper. Das Auftragswerk der Royal Opera London wurde in England zur Oper des Jahres 2011. Die New York City Opera übernimmt die Inszenierung im Herbst dieses Jahres. Am Opernhaus Dortmund erlebte „Anna Nicole“ Samstagabend ihre deutsche Erstaufführung in der Regie des Hausherrn Jens-Daniel Herzog unter der musikalischen Leitung des scheidenden Generalmusikdirektors Jac van Steen. Das Publikum feierte die schlüpfrige „Operette“ in Anwesenheit des Komponisten und seines Librettisten Richard Thomas nach zurückhaltender Aufnahme noch zur Pause am Ende mit stehenden Ovationen. Erstaunlich!
Im eiskalten, aseptischen Ambiente einer Leichenhalle beginnt und endet die Saga der platinblonden, schrill aufgedonnerten Sexbombe. Zum Chor der Gaffer, Voyeure und Fans wühlt sie sich aus dem schwarzen Plastiksack, in dem die Gemeinde sie gerade zu Grabe tragen wollte. Eine Rückblende auf ihr Leben folgt zwischen flugs wandelbarem Guckkasten und Steg jenseits des Orchestergrabens (Bühne: Frank Hänig).
„Anne Nicole“ ist nicht wirklich ein Opernstoff im traditionellen Sinn, aber „Reality Musiktheater“ mit jeder Menge Lust- und Lasterspielen. Turnage selbst gestand zu, eher eine „Operette“ geschrieben zu haben. Eine neue „Lustige Witwe“? Leider ohne Ohrwürmer. Nicht einmal „The American Dream“ des Chors mit Anna Nicole gleich zu Beginn reicht an Lehár heran – schon gar nicht an Verdis Traviata-Gassenhauer oder wenigstens an Lloyd Webbers „Cats“. Herauszuhören sind, vor allem im ersten Akt, Anleihen bei Brecht/Weills „Mahagonny“ und immer wieder ein bisschen Eric Satie. Später klingt’s eher nach Bernstein-Sound, Jazz und Blues. Da übertönt endlich die Band auf der Bühne die anfangs reichlich sanft säuselnden Streicher.
Viel zu gucken gibt’s allemal – Poledancer, Schoßdamen und Busen, Busen, Busen – ganz besonders variantenreich beim Schönheitschirurgen. Knüller der Show ist das Entrée von Milliardär J. Howard Marsahll II, Anna Nicoles drittem Ehemann – stolze 62 Jahre älter als die Frau, die um jeden Preis eine Ranch für sich und Söhnchen Daniel haben will… Im goldenen elektrischen Rollstuhl, die amerikanische Flagge auf den Knien, braust er herein. Befriedigt von Anna Nicole, in jeder Hinsicht, lässt er Zunge schnalzend die Hochzeitsglocken läuten. Anna Nicole im Rüschen-Hochzeitskleid, glücklich unterm Rosenblätter-Regen – das ist ein rührender Anblick. Jeder weiß, dass es von diesem Höhepunkt steil bergab gehen wird mit dem naiven Mädchen.
Emily Newton, bildschöne Texanerin wie Anna Nicole, spielt und singt diese gigantische Rolle wie sie besser nicht denkbar ist. Kammersänger Hannes Brock mimt Howard Marshall faszinierend lasziv. Katharina Peetz in Polizistinnen-Uniform, stimmlich klar und sicher, beeindruckt als Anna Nicoles besorgte Mutter, Daniels fürsorgliche Großmutter und geradlinige Ordnungshüterin. Christoph Strehl mimt einen billigen Trucker und TV-Star Larry King gleichermaßen authentisch. Morgan Moody bringt Anna Nicoles geschäftstüchtigen Anwalt Howard Stern gebührend skrupellos über. Der englische Humor, der in den Texten stecken soll, wirkt auf Deutsch nur vulgär. Englischer Humor scheint eben doch wohl ganz anders zu sein. In Dortmund lachte im Publikum jedenfalls keiner bei der Premiere.
Für Zimperliche ist hier kein Platz. Familientauglichkeit attestiert dennoch eine regionale Zeitung. Als ideales Vatertags-Geschenk empfiehlt eine Dortmunder Zeitung „Anna Nicole“.