Foto: Marie-Therese Futterknecht in "B for Baby" am Theater Heidelberg. © Florian Merdes
Text:Volker Oesterreich, am 15. April 2013
Irland ist ein kleines Land, aber eine große Literatur- und Theater-nation – man denke nur an George Bernard Shaw, Oscar Wilde, Brendan Behan, Sean O’Casey oder, unter den Jüngeren, an Enda Walsh. Als neues Talent in diesem vielstimmigen Dramatiker-Chor meldet sich nun Carmel Winters zu Wort. Die beste Schule, sagt die Autorin, sei für sie die eigene Familie gewesen: „Als zweitjüngstes von zwölf Kindern“ ist sie in Cork aufgewachsen, für sie das beste „Training als Dramatikerin“, das man sich nur denken könne. Gut vorstellbar, dass dies so ist. Das lautstarke Geplapper, die Streitereien und die Glücksmomente, die absurden Situationen, aber auch die vielen Überraschungen, die sie in dieser Großfamilie erlebt haben mag, dürften gelebtes Theater gewesen sein.
Carmel Winters’ preisgekröntes Stück „B for Baby“ strotzt nur so vor Momenten schöner Poesie und sprachburlesker Spielereien. Der Heidelberger Chefdramaturg Jürgen Popig hat diese differenzierten Sprachebenen in seiner Übertragung für die deutschsprachige Erstaufführung im Zwinger1 auf schöne Weise herausgearbeitet. Und das Ensemblemitglied Stefan Reck bringt die Dialoge als Inszenator im geschützten Raum einer Zeltkonstruktion (Bühnenbild und Kostüme: Pia Dederichs) mit psychologischem Feingefühl zur Geltung.
Das Stück handelt vom Liebesbedürfnis zweier geistig leicht Behinderter in einer betreuten Wohneinrichtung und vom zunächst unerfüllten Kinderwunsch eines Doppelverdiener-Paars um die Vierzig. Vier Rollen für zwei talentierte Schauspieler, die mal die liebenswürdigen Macken zweier Behinderter spielen, mal die seelischen Nöte eines Ehepaars, dessen weiblicher Teil die innere Uhr immer lauter ticken hört: Kann es noch klappen mit dem Wunsch nach einem eigenen Baby, oder ist der hormonelle Zug schon abgefahren? Klar, dass sich die Wege dieser vier Figuren kreuzen. Die Ehefrau mit dem Kinderwunsch ist zugleich Betreuerin in jener Einrichtung für geistig Behinderte, in der B und Dee untergebracht sind: er ein schüchtern-verklemmter Schwärmer, sie ein raubeiniger Tollpatsch mit unverkennbarer Eifersucht, weil sie zu Recht erkennt, dass sich zwischen B und seiner Betreuerin Mrs. C etwas zu entwickeln scheint. Es entwickelt sich sogar so viel, dass Mrs. C ihren Kinderwunsch mit B erfüllt, weil ihr Ehemann Brian nicht dazu in der Lage ist. Der Clou an dem Stück: Carmel Winters lässt es offen, ob die Figuren Brian und Mrs. C nur Wunsch- bzw. Angstprojektionen von B und Dee sind. Ein Stoff, der Fragen aufwirft nach der Missbrauchsthematik, nach dem Umgang der „Normalos“ mit geistig Behinderten und nach den familienfeindlichen Mechanismen in unserer auf stetigen beruflichen Erfolg getrimmten Gesellschaft.