Foto: Tanzbeitrag zum Wagnerjahr aus Berlin: Béjarts "Ring um den Ring" am Staatsballett © Bettina Stöss
Text:Vesna Mlakar, am 2. April 2013
„Enden sah ich die Welt.“ Düster und karg schallen Brünnhildes finale Worte durch den Bühnenraum. Ihren letzten Tanz, bevor die Verstoßen-Betrogene (schillernd in ihrer wandlungsfähigen Expressivität: Nadja Saidakova) sich auf Siegfrieds Leichnam wirft, lenkt Loge faustisch-charmant. Dann stürzen die Götter Wotan, Fricka, Donner, Froh und Freia nach über vier Stunden „Balletttheater total“ vom Balkon ihres zerstörten Walhalls. Den Text legte Maurice Béjart bereits vor 23 Jahren anlässlich der Uraufführung 1990 durch das Béjart Ballet Lausanne seinem Ring-Sprecher, dem auch 2013 immer wieder interagierenden Tänzer und Schauspieler Michaël Denard in den Mund. Zu dessen Füßen ein schicksalvernichtetes Ensemblegewusel. Der einzigartige Showdown lässt erkennen: Diesem Kosmos an darstellerischen Paraderollen gingen einst zehn Jahre intensiver Auseinandersetzung mit Wagners Schaffen voraus.
Dank Wagner-Jubiläum konnte man nun an der Deutschen Oper Berlin noch einmal überprüfen, wie eigentümlich-phänomenal der Meisterchoreograf die Figuren und ihre Charaktere aus der unvergleichlich imposanten Opernvorlage nicht nur zwecks Nacherzählung extrahierte, sondern darüber hinaus einem eigenen, enorm dichten Tanz-Gesamtkunstwerk zuführte. Und das metaphysisch ausgesprochen vielschichtig. Wotans diabolisch-cleveren Feuergott Loge (spitzenmäßig: Rainer Krenstetter) macht Béjart dabei zum mephistophelischen Strippenzieher. Außerdem ist das Geschehen im Ballettstudiomilieu verortet – als feine Kommentierung und Verfremdung zugleich. Im Hinblick darauf gibt es auch einen subtilen Einsatz von Stangen als Tanz-, Folter oder Waffenrequisit (Ausstattung: Peter Sykora).
Béjarts Spectacle autour du „Ring“ stellt ein klar gegliedertes, dramaturgisch geniales Konstrukt dar, dem – man glaubt es die ersten Momente kaum – der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Sein „Opus magnum“ bedient die Regeln einer Revue (mitsamt diversen Anspielungen u.a. bei den Kostümen), erlaubt sich bisweilen sogar eine parodistische Kommentarebene und punktet im balletttypischen Wechselspiel großer, dynamischer Ensembletableaux mit individuell ausgeprägten, zum Teil langen Soli, Duetten oder spannungsgeladenen Dreiecksformationen. Deren betörende Impulsivität (Walkürenritt), beredtes Gestenspiel (Wotans machtvolles Posieren; Erda), Fulminanz an trotziger Verspieltheit (das Kind Siegfried), geknechtete Verschlagenheit (Alberich), leidenschaftliche Virtuosität (Hass- und Liebesszenen) und niemals plakative, bewegungsnarrative Qualität (Mime, Alberich) für über 20 Handlungsträger haben kein bisschen an Originalität, theatraler Kraft, tänzerischer Herausforderung oder gar Intensität verloren!
Das wohl komplexeste Werk der Ballettgeschichte, von Béjarts Ex-Tänzer/-Ballettmeister Bertrand d’At am Uraufführungsort wieder einstudiert, ist ohne Zweifel einer der herausragenden Beiträge zum Wagner-Jahr. Was aber, wenn Vladimir Malakhov, dem 2004 als Einzigem(!) die Einbindung vom „Ring um den Ring“ ins Repertoire des derzeit glänzend austrainierten Staatsballett Berlin gelang, seinen Chefposten an Nacho Duato übergibt? Schon das Ballet Lausanne büßte seit Béjarts Tod 2007 zu viele Tänzer ein, um die Choreografie rein besetzungstechnisch noch stemmen zu können… Droht dies auch Berlin, werden künftige Generationen das so anspruchsvoll wie kurzweilige Mammutprojekt missen müssen.