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Das schlimmstmögliche Ende

Torsten Rasch: Die Herzogin von Malfi

Theater:Theater Chemnitz, Premiere:23.03.2013 (DE)Regie:Dietrich W. HilsdorfMusikalische Leitung:Frank Beermann

Geht man vom am Ende eingeblendeten Satz Dürrenmatts aus, dass eine Geschichte erst dann zu Ende erzählt ist, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat, muss man diesen Theaterabend in Chemnitz wohl als gescheitert betrachten. Die schlimmstmögliche Wendung, das wäre ein sich im Laufe der Premiere stetig leerender Saal, in dem am Ende niemand mehr zum Finale übrig ist. Die Chemnitzer „Herzogin von Malfi“, deutsche Erstaufführung von Torsten Raschs zweiter Oper nach der 2010er Premiere in London, blieb dabei auf halbem Wege stecken: Immer wieder klapperten die Türen während der zweistündigen pausenlosen Aufführung, eine Massenflucht eher leise verstörter denn lauthals erzürnter Zuschauer setzte zum Ende hin ein. Es gehört schon einiges dazu, das Neuem durchaus zugewandte Chemnitzer Opernpublikum soweit zu bringen, dass es seiner geliebten Robert-Schumann-Philharmonie den Schlussapplaus versagt.

Soviel vorweg: Verdient in diesem Umfang war die Publikumsreaktion nicht, verständlich aber durchaus. Denn tatsächlich hatten es alle Beteiligten auf und hinter der Bühne bis zum äußersten getrieben: Von Vergewaltigungen über Menstruationsblutungen bis hin zu bizarren Sexspielchen eines Kardinals wird in Dietrich Hilsdorfs Inszenierung vieles mehr als bloß angedeutet. Hinzu kommen halb verweste Leichen am Galgen, abgeschnittene Hände, ein Haufen Verrückter, Männer in Frauenkleidern, die zu Werwölfen mutieren. Harte Kost ist dies für einen Samstagabend, an dem man auch zuhause sitzen und sich von „Wetten, dass…?“ berieseln lassen könnte. Dietrich Hilsdorf hatte hier die von Ian Burton in ein Libretto verwandelte Webster-Vorlage tatsächlich durch die schlimmstmöglichen Wendungen und zum schaurigsten Ende geführt.

Und auch Torsten Raschs Musik ist durchaus nicht vom ersten Augenblick an zugänglich: Kaum größere Melodiebögen, in die man sich als Zuschauer verlieben oder zumindest einmal hineinlegen könnte, stattdessen expressives Klangwerk. Bereits der Auftakt ein beinahe irre machendes Fiepen der Streicher, enervierendes Pauken bei den Auftritten der Chöre, Babygeschrei wie Wolfsgeheul, ein Frauenchor wie lachende Hyänen. Den Solisten sind einzelne Instrumentengruppen zugeordnet, die sie eher umrahmen als begleiten, kaum einmal hört man den vollen Klang des Orchesters. Und dazu ein Countertenor, der immer wieder mitten im Vers seinen für heutige Hörgewohnheiten ohnehin irritierenden Falsettgesang unterbricht und in den Bass fällt – auch hier also nichts zum Anschmiegen. Die Komposition ist kein romantisierendes Konsensangebot, biedert sich nicht an, und so ist es kaum vorstellbar, dass „Die Herzogin von Malfi“ recht bald eine vielgestaltige Inszenierungsgeschichte erleben wird angesichts von Opernhäusern, die unter Spardruck mit dem bewährten Repertoire aus „La Traviata“, „Freischütz“, „Meistersingern“ und Co. so gut als möglich versuchen müssen, Ränge und Kassen zu füllen.

So dürfte man für eine Weile auf die Chemnitzer Inszenierung dieser Rasch-Oper verwiesen sein. Bühnenbildner Dieter Richter hat drei Räume geschaffen: Im Gothic-Chique ist der erste davon eingerichtet – samtene Sofas, ein riesiger Spiegel, eine metallene Wendeltreppe deuten hier ein düsteres Schloss an, in der sich die Szenen um Giovanna, die Herzogin, abspielen: Hier betrauert sie den Tod ihres Gemahls, verbindet sich mit dem Haushofmeister, gebiert eine Tochter, hier hat sie sich den Liebes- und Hassbekundungen ihrer Brüder Ferdinand und Lodovico, Kardinal von Aragon, zu widersetzen. Eine zweite Zeitebene öffnet sich mit dem Gemach der Prostituierten Julia, zu der sich Lodovico regelmäßig schleicht: Verkitscht geht es hier zu, im Fernseher läuft ein Aquarium-Video, über dem Bett hängt ein Bild von Rotkäppchen und dem bösen Wolf, Mutter Gottes und der nackte Unterleib einer Schaufensterpuppe bilden in Eintracht eine Frauenfigur –fast schon zu viel der Bildhaftigkeit von Heiliger und Hure. Der dritte Raum schließlich bleibt Ferdinand vorbehalten – ein düsterer Hinterhof mit Galgen, unter dem die Alraune wächst. Hier vereint er sich zunächst symbolisch mit seiner Zwillingsschwester, zu der er in heißer Liebe entbrannt ist, hier verwandelt er sich durch die magische Pflanze zum Werwolf.

Beinah filmschnitthaft sorgt die Drehbühne für wechselnde Orte, viele Handlungen werden erst im Wegdrehen vollzogen, quasi langsam ausgeblendet. Die partielle Kinoästhetik verstärkt sich durch eine teilweise vor der Szene liegende Gazeleinwand und die szenenbeschreibenden Übertitel, die vielfach Rezitativ-ersetzend die Handlung vorantreiben und an Stummfilmklassiker erinnern. Nosferatu taucht vor dem inneren Auge auf – die Ästhetik korrespondiert mit der Gruselnummer, in die Hilsdorf das Stück verwandelt, wenn er Ferdinand zum Untoten macht. Dies lässt freilich ein wenig die Frauenrollen Giovanna und Julia aus dem Blick geraten, die hier in männerbestimmten Welten– ein Zeiten übergreifendes Phänomen, wie die Räume andeuten – um Autonomie kämpfen.

Denn Star dieser Inszenierung ist Ferdinand, der am Ende noch nicht mal tot sein dürfte, weil man Werwölfe bekanntlich nicht einfach erschießen kann. Er wird von Iestyn Morris, der die Rolle auch schon in London übernommen hatte, stimmlich brillant und darstellerisch ausgefeilt verkörpert. Tiina Penttinen kann als stolze Giovanna stimmlich stolz dagegenhalten. Kouta Räsänen gibt einen in seiner Bigotterie widerwärtigen Kardinal als Wanderer zwischen Welten und Zeitebenen, als Prostituierte Julia vermittelt Sarah Yorke ebenso brennenden Weltschmerz wie kühle Professionalität. Andreas Kindschuh ist überzeugend der zwischen Zynismus und Achtung vor Giovanna schwankende Überwacher Bosola, einer Rolle, der man mehr Platz im Libretto gewünscht hätte. Frank Beermann führt die Philharmonie gewohnt gekonnt durch die Unbilden der Komposition, schafft einen atmosphärisch-expressiven Klangteppich – und so hätten zumindest die musikalischen und darstellerischen Leistungen den vollen Schlussapplaus des vollen Opernhauses verdient gehabt.