Foto: Rowan Hellier in Salvatore Sciarrinos "Vanitas" an der Berliner Lindenoper. © Thomas Bartilla
Text:Barbara Eckle, am 17. März 2013
Blickt man in den leeren Bühnenraum der Werkstattbühne der Berliner Staatsoper im Schiller Theater, in dem anfangs nur ein Cellist und eine Pianistin in Konzertbekleidung sitzen, wähnt man sich eher im Kammerkonzert als im Musiktheater. Tatsächlich kommt Salvatore Sciarrinos aus fünf großen Liedern bestehendes Still-Leben in einem Akt „Vanitas“ mit den minimalsten Mitteln aus. Eine Stimme mit Klavierbegleitung und ihr Echo im Cello genügen ihm, die Spannung zwischen dem Leben und seiner Endlichkeit, zwischen Traum und Wirklichkeit durch fünf kurze Versdichtungen hindurch in ihrer Vielschichtigkeit dramatisch filigran auszuleuchten. Ihm genügt im Grunde schon der einzelne Ton, der aus dem Nichts kommt und ins nichts verklingt.
„Vanitas“ bezieht sich auf die ursprüngliche lateinische Bedeutung des Worts: Vergänglichkeit, Vergeblichkeit, Leere. Diese Begriffe durch ein in glitzernder Abendgarderobe aufgedonnertes alterndes Paar und einen bildlosen Rahmen darzustellen, reduziert die Thematik allerdings auf eine etwas arg konkrete Ebene, die dem Meister der atmenden Stille, des Unausgesprochenen, der Welt zwischen den Zeilen kaum entspricht. In dem dazu erfundenen alten Paar, das mal mehr mal weniger glaubwürdig in seiner stummen Rolle agiert, personifiziert die Regisseurin Beate Baron die Welt des Traums und stellt sie in Spannung zur Wirklichkeit, der die Sängerin Rowan Hellier standhaft Stimme und Gestalt verleiht. In mechanischen, wie ferngesteuerten Bewegungen platzt sie immer wieder zur Tür herein, lässt gleißendes Licht in den Raum strömen und untergräbt den illusorischen Reigen, in dem sich das alte Paar wiegt. Langsam und kläglich verendet sie, bis sie kaum mehr am Boden kriechen kann.
Baron konzentriert sich ganz auf die Interaktion dieser Welten und bringt sie dramaturgisch auch an ein in sich stimmiges Ende, wenn zum Schluss das alte Paar diskret vor der krepierenden „Wirklichkeit“ flieht. Doch diese allzu eindimensionale Bildwelt erstickt Sciarrinos differenzierte, am Rande des Nichts sich bewegende Musik, die nicht Illustration, Handlung oder Konzept braucht, sondern Raum zu Wirken. Auch die vielgeliebte Videoebene löst das Problem nicht: die zwei großen Videoportraits, die das alte Paar ganz ungeschminkt von der Leinwand blinzeln lassen, tragen nicht zur Vertiefung, sondern vielmehr zur ultimativen Verflachung der in Sciarrinos Musik angelegten Dimensionen bei. Wie vom Ballast befreit atmen die letzten Takte auf, als – wie im Kammerkonzert – nur noch das Trio im Raum übrig bleibt, das Echo selbst zur Stimme wird und schließlich in einem scheinbar endlos abwärts glissandierenden Ton dahinstirbt.