Foto: Oben: Karolina Horster (Lil), unten, im Video: Karen Dahmen (Feli) © Florian Merdes
Text:Volker Oesterreich, am 4. März 2013
Freischwimmen, das muss man sich auch in den amourösen Untiefen, die so unergründlich sein können wie das Leben selbst. Eine ewigwährende Herausforderung, die auf den Bühnen für die reizvollsten, komischsten oder mörderischsten Konstellationen sorgen kann. Ein weiteres Mal wagte nun Marianna Salzmann mit ihrem nach allen Regeln der Dekonstruktion gepanschten Stück „Schwimmen lernen“ den Sprung ins heiß-kalte Wasser einer Dreiecksgeschichte. Paul-Georg Dittrich tauchte es als Uraufführungsinszenator ziemlich nassforsch mit den sattsam bekannten Zutaten der Regie-Avantgarde von vorgestern ins Schwimmhallen-Ambiente der Heidelberger Spielstätte Zwinger 1.
Mit Kisten bewaffnet halten die drei Darsteller Karen Dahmen (als Feli), Karolina Horster (Lil) und Benedikt Crisand (Pep) zusammen mit den Zuschauern ihren Einzug in die Studiobühne. Die Kisten enthalten ihre Zeitgeist-Kledage (Bühne und Kostüme: Pia Dederichs); zugleich symbolisieren sie die Beziehungskisten des Trios. Und wie sich rasch herausstellt: Die Kisten sind genauso aus Pappe wie das ganze Stück. In ihm wird in wilden, nicht chronologisch angeordneten Szenen und kleinen Cuts davon erzählt, dass Feli aus ihrer spannungslos gewordenen Ehe mit Pep flieht, um eine lesbische Liaison mit der aus Osteuropa stammenden Lil zu wagen. Der Reiz der neuen Erotik, der fremden Kultur und der uneingeschränkten Leidenschaft verleiht den beiden Girls Flügel. Ja, sie haben sich ganz doll lieb.
Feli will zusammen mit Lil in deren Heimat ans Schwarze Meer, das ganz anheimelnd blau sei, wie es immer wieder leitmotivisch (und ebenso blauäugig) heißt. Die hektischen Dialoge plätschern um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dieser Liebe, gegen die das Gefühl der Isolation in der fremden Kultur anbrandet. Als Soundteppich gibt’s dazu ein Potpourri quer durch die neueren Charts. All dies vollzieht sich in einem Einheitsbühnenbild, das aussieht wie ein mit Plastikplanen bedecktes Schwimmbecken. In ihm findet sich ein Metallstreben-Käfig mit Plexiglas-Scheiben als Becken im Becken, aber auch als Gefühls-Gefängnis mit Video-Projektions-Rückwand. Darüber flimmern Livebilder zur Verdoppelung der Perspektive sowie ästhetische Unterwasser-Aufnahmen der beiden Schauspielerinnen, die sich als Bikini-Najaden im Tauchgang umgarnen und küssen. Der Video-Künstler Steffen Kraska hat diese Bilder aufgenommen, und ihretwegen müsste man das Stück eigentlich in „Tauchen lernen“ umbenennen.
Der Text vermag es nicht, ein tieferes Interesse für die Konflikte der Figuren zu wecken. Von hoher Intensität aber ist das Spiel des Trios. Vor allem Karen Dahmen und Karolina Horster haben eine gehörige Portion Adrenalin im Blut: Sie giften und sie schmachten, sie grimassieren und chargieren, dass sich dennoch ein vielfarbiges emotionales Kaleidoskop auftut. Beiden Darstellerinnen ist es zu verdanken, dass die Pappe des Textes mit einer hauchdünnen Platinschicht überzogen wird. Benedikt Crisand kann als Dritter im Bunde nur gebremst aus sich herausgehen, da ihm die am oberflächlichsten gezeichnete Figur zugewiesen wurde. Pep hat leider gar keinen Pep. Um das Ganze zu verstehen, muss man eigentlich nur eine wenige Sekunden kurze Szene sehen. In ihr werden zwei herzförmige Luftballons aufgeblasen – und in die Freiheit entlassen. Kaum ist es so weit, erfüllt ein Geräusch den Raum, das wie Blähungen klingt. Dann sinken die erschlafften Symbole trist zu Boden. Und das Bisschen an heißer Luft verzieht sich nach oben zu den Bühnenscheinwerfern.