Foto: Szenenfoto aus „Lola rennt“ mit Vera Semieniuk und Mario Klein am Theater Regensburg © Jochen Quast
Text:Martin Bürkl, am 1. März 2013
Eines vorweg: Alles darf Material sein, alles soll sogar Material sein – auch auf der Opernbühne. Insofern ist das hier keine „Ach wie kann man nur“-Kritik, denn einen Filmstoff mit Sängern, Orchester und Chor ins Theater zu holen ist nur konsequent, wenn dem jungen Theaterpublikum die alten Mythen verloren gehen. Der Komponist Ludger Vollmer ist schon mehrmals diesen Weg gegangen, zuletzt mit einer gefeierten Opernversion von Fatih Akins „Gegen die Wand“ in Bremen.
Nun also Tom Tykwers „Lola rennt“, der Kassenschlager von 1998, in dem Franka Potente als Lola um ihr eigenes und das Leben ihres kleinkriminellen Freundes läuft. Manni hat seinen Job als Geldkurier mehr schlecht als recht gemacht, 100.000 Mark verloren und ist ein toter Mann, wenn die Knete nicht innerhalb 20 Minuten wieder auftaucht. Drei Mal gibt es einen Neustart, drei Mal alles auf Anfang, um mit kleinen (zufälligen) Abweichungen im Verhalten Großes zu bewirken. In den ersten beiden Versionen geht die Geschichte schief: Nach dem Überfall auf einen Supermarkt stirbt Lola durch eine Kugel der Polizei, ein Bankraub klappt zwar, doch Manni wird ausgerechnet vom Krankenwagen überfahren. Den Hauptgewinn gibt es erst in der dritten Spielrunde und nach reichlich Parallelhandlungen und halsbrecherisch geschnittener Kamera ein in der Zeit beinahe eingefrorenes Happy End.
Bei der Uraufführung am Theater Regensburg wird nicht versucht, Tom Tykwers rasantes kinematographisches Meisterwerk auf das Theater zu projizieren. Ludger Vollmer und die Librettistin Bettina Erasmy extrahieren allein die Geschichte und stellen sie wie einen antiken Stoff auf die Bühne. Stets auf der Szene der kommentierende Chor als Mischung aus Zuschauer, Erzähler und Handelndem. Überhaupt Caroline Mittlers Bühne: stahlgraue Baumarktregale in zwei Halbrunden, darin liegend Leuchtkästen, die die jeweiligen Figuren und Handlungsorte anzeigen. Die Regalwände lassen sich mittels Drehbühne gegeneinander verschieben, sind einmal Käfig, der die Grenzen des Handlungsspielraums aufzeigt, einmal Hindernis, das von der kletternden Lola überwunden werden muss.
Ludger Vollmers Komposition changiert zwischen den Stilen, ist überraschend tonal und poppig. Sie groovt mit dominantem Schlagwerk im Bereich der Minimal Music irgendwo zwischen einem überbordenden Philip Glass, einem falsch verstandenen Steve Reich und einer filmmusikalischen Variante von Igor Strawinski. Die repetitiven Muster und gegeneinander verschobenen Akzente kommen von Streichern und Bläsern des Philharmonischen Orchesters Regensburg wunderbar „im Fluss“. Sie scheinen in größeren Bögen zu denken als die Rhythmusabteilung, die leider gerade an den treibenden Stellen dem Taktstock Arne Willimcziks davonzulaufen droht.
Die Sänger sind durch die Bank großartig: Vera Semieniuk als Lola, Seymur Karimov als Manni und Aurora Perry (Jutta, die eifersüchtige Freundin von Papa). Mario Klein schafft es, stimmlich und vom gesamten Gestus, die Figur des Vaters zwischen absolutem Drama und tiefschürfender Lächerlichkeit in der Wage zu halten – diese Sicherheit hätte den Übrigen auch gut getan. Ohnehin ist das Libretto eine Herausforderung, denn es orientiert sich in seiner Umgangssprache stark am Drehbuch, dazu wird jeder nebensächliche Satz durch eine dominant im Bühnenbild hängende Projektionsfläche überhöht. Schirin Khodadadians erste Opernregiearbeit hätte daraus Kapital schlagen können, nämlich anhand eines wenig opernhaften Textes eine Art »Gegen-Oper« zu inszenieren. Doch scheinbar haben alle Beteiligten den von Gefühlsverwicklungen durchzogenen Stoff zu ernst genommen. Redundanz an allen Ecken und Enden, kaum Brechung. Daraus resultiert im absoluten Wortsinne eines: Eine Seifenoper.