Foto: Vorne: Musiker des "ensemble mosaik", hinten: ein Schauspieler von "Parallelaktion" © Stephanie Pilick
Text:Barbara Eckle, am 21. Februar 2013
In tristes, weißes Licht getaucht sitzt ein Streichquintett im Kreis der Spielfläche. Pflanzenkästen stapeln sich im ganzen Raum, werden transportiert und bewässert, dabei ist Konrad, der Protagonist von Thomas Bernhards Roman „Das Kalkwerk“, ein Naturhasser. Wohl weil er sich pausenlos mit der Natur beschäftigt und an ihr scheitert. Gemeint ist die innere Natur, das Gehör, über das er seit Jahrzehnten eine bahnbrechende Studie niederzuschreiben versucht, niemals aber die Worte dazu findet, obwohl er sich die groteskesten Idealbedingungen geschaffen hat hinter seiner Verbarrikadierung im alten Kalkwerk, das er mit seiner verkrüppelten, an den Rollstuhl gefesselte Frau bewohnt. An ihr vollzieht er tagtäglich die schaurigsten Wortlautexperimente, bis er sie eines Tages erschießt.
Nicht die Darstellung der Ehehölle, deren dramatis personae gemäß Romanvorlage physisch abwesend sind, steht in der von Helmut Oehring musikalisch umgesetzten Adaption „Kalkwerk“ von Regisseur Albert Lang und Irene Rudolf am Berliner Radialsystem im Vordergrund, sondern die irreparabel zerbrochene Kommunikation zwischen Außen- und Innenwelt. Sinnbildlich für das Keine-Sprache-Finden steht der Holzfäller Höller (Sören Canenbley), der bei Lang und Rudolf gehörlos ist. Seine Gebärdensprache, die ohne Resonanz seiner Mitmenschen bleibt, wirkt expressiver als das gesprochene Wort, das sich hier, wie im Roman, konsequent auf Berichterstattung beschränkt. Als Vermittlerin zwischen außen und innen offenbart Oehring die Sprache als geradezu chancenlos – eine fatale Diagnose, die der rhythmisierte Sprechgesang der auch schauspielerisch schwer geforderten Musiker des ensemble mosaik immer wieder zementiert.
Selten wirken Instrumentalisten in schauspielerischer Funktion auf der Bühne wirklich authentisch, aber in Albert Langs Inszenierung gelingt es. Ohne jede Theatralik stellen sie die kollektiv über den Hergang des Mordes mutmaßende Dorfbevölkerung dar und bewegen sich ebenso natürlich durch den Raum wie die Darsteller der Hauptberichterstatter Wieser (Niklas Bardeli) und Fro (Stephan Wolf-Schönburg). Konrad selbst ist da, indem er nicht da ist: Zum einen in der elektronisch zugespielten Stimme in den dunkeln, metallisch-rhythmischen Intermezzi, welche die sieben Teile des Musiktheaters teilen; zum anderen in der ständig um ihn kreisenden konjunktivischen Sprache. So wirkt Wieser in Momenten, in denen er von Konrads Verzweiflung über die Unmöglichkeit seine Studie niederzuschreiben berichtet, als wären sein Geist und Körper von diesem regelrecht besessen. Allein am immer wieder scheiternden Versuch, eine Pflanze einzutopfen, ist die Natur dieser Unfähigkeit förmlich abzulesen: Nervös, fahrig, unter krampfhafter Anspannung und im ständigen Wissen um das notwendige oder, wie Bernhard sagen würde, naturgemäße Scheitern.
Mit Dehnung, Raffung, Verzerrung und Entstellung bekannter Musik wie Schuberts Quartett „Der Tod und das Mädchen“ und seinem Streichquintett in C-Dur, manipuliert Oehring bewusst und effektvoll die Gefühlswelt seines Publikums und lässt es das ungeheuerliche, abgründige Ausdruckspotential des Verstummens spüren. Die melodramatische Schichtung von erschütternden Zitaten Konrads über eine höllische Kindheit, die in die immer wiederkehrende Formel „alles sei gegen die Niederschrift“ münden, vermitteln in sublimierter Weise eine traurige Ahnung von dessen tiefer innerer Not, die ihn zum Mörder werden ließ. Wie eine Gnade wirkt der Schluss, wenn nach dem Einblick in diese Abgründe das Streichquintett über ein leises, sirenenartig glissandierendes Heulen Bachs Choral „Komm süßer Tod, komm selige Ruh’“ vierstimmig, in einem dem Stillstand nahen Tempo intoniert.