Foto: Breno Bittencourt als Jago in der neuen Essener "Othello"-Choreographie. © Bettina Stoess
Text:Isabell Steinböck, am 12. Februar 2013
Geduckt, ganz nah am Boden, pirscht der Tänzer über die Bühne. Mit seinen ruckartigen, athletischen Bewegungen wirkt er wie ein kleines Tier, kurz vor dem Angriff. Tatsächlich wird es nicht lange dauern, bis Jago Othello ins Unglück stürzt… Der charismatische Tänzer Breno Bittencourt ist einer von vier Solotänzern, die in der modernen „Othello“-Version des Choreographen-Duos Michelle Yamamoto und Denis Untila am Aalto-Theater in Essen auf der Bühne stehen. Shakespeares Tragödie ist ein schwerer, wenn auch beliebter Stoff, der in der Vergangenheit nicht nur für Schauspiel und Oper, sondern auch für das Ballett vielfach bearbeitet worden ist. Tatjana Gsovskys „Mohr von Venedig“ und „The Moor’s Pavane“ von José Limon wurden berühmt, auch John Neumeiers „Othello“ feierte Erfolge. Nun also eine zeitgenössische Produktion von zwei jungen Choreographen: Michelle Yamamoto und Denis Untila gehören seit 2006 zum Ensemble des Aalto-Balletts. „Othello“ ist ihr erstes abendfüllendes Stück.
Der Inhalt der Tragödie um Othello und seine Desdemona ist in Essen auf ein Minimum reduziert: Die Ausgrenzung Othellos als so genannter „Moor“, das Thema des Rassismus, wird nur gestreift, der militärische Hintergrund fällt weg; die Figuren sind zeitlos. Zentrales Thema ist Othellos Eifersucht, ausgelöst durch Jagos Hass. Listig und verschlagen flüstert letzterer Othello ein, seine Desdemona betrüge ihn mit Cassio – und ist auf grausige Weise erfolgreich. Verletzt, wütend und aggressiv wendet sich der Unglückliche gegen die geliebte Ehefrau, würgt sie beinahe zu Tode. Am Ende ist er ein gebrochener Mann: Verzweifelt stürzt sich Othello von einer Brücke in die Tiefe. Dabei wird hier gar nicht Othello zum Mörder Desdemonas, sondern Jago. Letzterer wirkt wie das Böse schlechthin. Was ihn antreibt, Cassio Desdemonas Armreif unterzuschieben, um ihre Untreue „beweisen“ zu können, bleibt allerdings im Dunkeln. Unklar ist auch die tragende Rolle des Ensembles: Lauernd und distanziert ist die Gesellschaft omnipräsent. Weshalb die Figuren so kühl und abweisend wirken, wenn sie mit kantigen, zuckenden Bewegungen zur elektronischen Musik zeitgenössischer Komponisten auf der Bühne stehen, erschließt sich jedoch kaum.
Dafür ist Dimitrij Simkins wandelbare Bühne aus weißen, verschiebbaren Wänden mit einer meterhohen Brücke beeindruckend. Und auch choreographisch gelingen starke Bilder. Etwa, wenn sich Jago auf engstem Raum selbst entfliehen möchte, bevor er dann doch zum Intriganten wird. Oder wenn Othello im Eifersuchtswahn seine Desdemona mit einem anderen sieht, erst ein Mal, dann zwei Mal, schließlich sechsfach verdoppelt. Herausragend ist das Abschieds-Pas de deux des unglücklichen Paars. Diese Mischung aus leidenschaftlicher Liebe und Hass, zur wunderschön-melancholischen Musik von Max Richter ist großartig. Yulia Tsoi und Armen Hakobyan – zwei ausdrucksstarke Tänzer – hauchen dem Drama Seele ein. Da springt der Funke schließlich doch über.